Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Geburt und Taufe

Fritz Platenau Istrup †

Es war, es ist und es bleibt auch wohl so, daß in einer gewissen Zeit nach der Hochzeit mit der Ankunft eines jungen Erdenbürgers gerechnet wird. Besonders die Frauen sind da immer recht spitzohrig und oft fragt eine Frau die andere, wenn eine schon längere Zeit verheiratete Frau vorübergeht: 'Off dat auk wal baule mol olleine achter de Gardüinen kümmet? = Ob das (die junge Frau) wohl bald mal allein hinter die Gardinen kommt? So wurde gefragt, wenn die Geburt des ersten Kindes sich verzögerte.

Oft konnte man auch hören, dass gesagt wurde: 'Dat kürnrnet teor schlächten Tüit achter de Gardüinen' = Die Frau kommt zur schlechten Zeit hinter die Gardinen. Diese Redensart bedeutete, daß die Niederkunft in einer arbeitsreichen Zeit oder dann zu erwarten war, wenn der Mann als Wanderarbeiter abwesend war. In solchen Fällen war die Nachbarschaftshilfe selbstverständlich und es wurde schon vorher festgelegt, wer an welchen Tagen für die Wöchnerin und deren Kinder zu sorgen, die Wohnung in Ordnung zu halten und das Vieh zu versorgen hatte. Auch die Vorbereitungen für die Taufe waren, abgesehen von der Bestellung der Paten, eine Angelegenheit der helfenden Nachbarinnen. Dies war wohl die edelste der früher oft geübten Nachbarschafts- und Widerhilfen.

Als um die Jahrhundertwende in vielen größeren Orten die Vaterländischen Frauenvereine' gegründet wurden, übernahmen deren Mitglieder zum großen Teil die Dienste der immer mehr in Vergessenheit geratenden Nachbarschafts- und Widerhilfen.
Ein kurzes Wort zu den Gardinen. Als von den hier gemeinten Gardinen gesprochen wurde, waren Fenstergardinen ein Luxus. In den meisten Wohnungen waren nur wenige Fenster und so klein, dass Gardinen die Räume verdunkelt hätten. Mit Gardinen waren die Vorhänge um die damals als Ehebetten üblichen Himmelbetten gemeint.

Wegen der früher sehr hohen Säuglingssterblichkeit wurden die Neugeborenen, 'Eumken' genannt, oft schon am Tage nach der Geburt, meistens aber am dritten Tage, getauft. In den alten Kirchenbüchern ist meistens der Tauftag, nicht der Geburtstag, eingetragen. Es war selten möglich, dass die Mutter bei der Taufe ihres Kindes zugegen sein konnte. Für die Aufschiebung der Taufe, über drei Tage hinaus, gab es nur wenige triftige Gründe. Hauptgrund war die Verhinderung des 'Ersten Paten', also des Paten, welcher den Täufling während des Taufaktes hielt. Weitere Gründe waren starker Frost, Schneegestöber, Hagelschlag und Gewitter. Beim Gewitter wurde grundsätzlich kein Taufakt vollzogen.

Ein feststehender Grundsatz war, dass die Wöchnerin sich frühestens 6 Wochen nach der Geburt wieder in der Öffentlichkeit zeigte, es sei denn, dass sie bei der Taufe des Kindes hätte zugegen sein können. Der erste Gang in die Öffentlichkeit war der Kirchgang. Im Schlußgebet erwähnte der Pastor stets ' die Mutter, die ihren ersten Kirchgang wieder tut'. Auch bei der Erteilung des Segens wurde sie besonders erwähnt. Starb ein Neugeborenes ungetauft, tat die Mutter ihren ersten Kirchgang erst nach 'zweimal sechs Wochen' und zwar mit halbverhülltem Gesicht, wie bei der Beerdigung des Ehemannes.

War eine Kirche im Geburtsort, wurde der Täufling vom Geburtshause zur Kirche getragen. Voran schritt die schwarzgekleidete Hebamme mit dem Täufling. Sie trug eine kleine schwarze Seidenhaube, die nicht unter dem Kinn gebunden wurde. Zwei etwa drei Zentimeter breite Bänder, ebenfalls aus schwarzer Seide, die an der Haube befestigt waren, waren so lang, dass sie mit dem Saum des Kleides abschnitten. Zwei Schritte hinter der Hebamme folgten die Eltern des Täuflings, falls die Mutter bei der Taufe zugegen sein konnte. War dies nicht der Fall, folgte der Vater mit den Großeltern oder deren ältesten Geschwistern, danach die Paten. Diese 'Rangordnung* soll in Lippe nicht einheitlich gewesen sein. In vielen Gemeinden seien die Paten vor den Eltern gegangen.

Diese Angaben über die Taufe habe ich von dem verstorbenen Pastor Thoke in Wöbbel. Dort habe ich auch einen Taufzug in der zuerst beschriebenen Anordnung gesehen.

Ältere Geschwister des Täuflings und die näheren Verwandten gingen schon zeitig zur Kirche und nahmen auf den für die Familie freigehaltenen Plätzen in der Nähe des Altars Platz.

Früher erstreckte sich ein 'Kirchspiel' oft über eine Reihe weit auseinander liegender Dörfer. Hier erfolgten die Taufen meistens erst nach einigen Wochen. Bei weiten Wegen wurden die Hebamme mit dem Täufling, den Eltern, Großeitern und Paten bis zum 'Kösterkreoge' gefahren. Von hier bewegte sich der Zug dann in der geschilderten Weise zur Kirche.
Soweit ich zurückdenken kann, erfolgte die Fahrt zur Kirche im Kutschwagen oder im Schlitten. Wie es vorher war, weiß ich aus den Erzählungen meines Vaters, der dies aber auch nicht mehr aus eigenem Erleben wußte. Nach diesen Erzählungen wurden einspännige 'Bollerwagen' = leichte, ungefederte Kastenwagen, hierfür hergerichtet. Möglichst festgebundenes Roggenstroll, über das ein Stück 'Beddedrell' = Bettinlett oder ein leinenes Bettlaken gelegt war, Je nach Bedarf wurden auch mehrere Bunde gelegt, dienten als Sitzgelegenheit. Als Rückenlehnen wurden Stricke von der einen zur anderen Wagenseite gezogen. Bei ungünstigem Wetter wurden dicke Weiden- oder Haselruten an den Wagenwänden befestigt, in der Mitte zusammengebunden und eine Plane darübergespannt. Dazu wurden meistens wohl die sog. 'Saatlaken', die beim Einfahren des Rübsens oder Rapses in die Ernteleitern gehängt wurden, genommen. Dass eine solche Fahrt bei den damaligen Wegeverhältnissen alles andere als ein Vergnügen war, kann man sich leicht vorstellen.

Davon, daß es nach dem Taufakt im 'Kösterkreoge' oft große Saufgelage gegeben habe, habe ich hier nie etwas gehört. In der Familie wurde nur mit den nächsten Angehörigen und den Paten gefeiert.

Istrup im Winter 1976/77

Bemerkung:
Nach den von mir ausgewerteten Gogerichtsauszügen aus dem Amt Blomberg aus den Jahren 1600 -1730, endete fast jede Kindtaufe auf den Bauernhöfen mit einem Trinkgelage. Typischen Vergehen: zuviele Paten, zuviele bewirtete Tische (also zuviel Gäste), zuviel Bier ausgeschenkt.
In der Regel gab es auch eine Schlägerei.

Herbert Penke Juni 2004

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