Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Allgemeines Brauchtum vor, während und nach der Hochzeit

Fritz Platenau Istrup †

Zum besseren Verständnis des Brauchtums bei einer bäuerlichen Hochzeit möge ein kurzer Bericht über die allgemeinen Sitten und Bräuche vor, -während und nach der Hochzeit dienen. Sie waren aber oft schon von Ort zu Ort verschieden.
Allgemein wurde nicht gern gesehen, wenn ein junger Mann aus einem anderen Orte Ausschau nach jungen Mädchen hielt. Es kam dann oft so, wie bei dem Brauchtum zu Pfingsten geschildert.

Waren alle die Heirat betreffenden Fragen geklärt und der Hochzeitstermin festgesetzt, dann wurde besprochen, wann und wie die „Briutdüißen" gefeiert werden sollte. Das Wort Briutdüißen ist fast ganz aus dem Sprachgebrauch verschwunden und durch „Polterabend" verdrängt.

Auf einem richtigen Brautwagen, der mit dem beweglichen Heiratsgut der Braut beladen war, nahmen vorn ein Spinnrad als Sinnbild des Fleißes und ein Besen als Sinnbild der Sauberkeit den Ehrenplatz ein. Einige Tage vor der Hochzeit fanden sich die Freundinnen der Braut in deren Elternhaus ein, um das zur Aussteuer gehörende Spinnrad herzurichten. Bei dem benötigten Flachs waren die viel Staub aufwirbelnden Arbeiten schon vor her gemacht, aber den letzten Schliff bekam „dat Flaß" erst an diesem Abend. War derselbe spinnfertig hergerichtet, wurde die „Briutdüißen andon" (angetan, fertiggemacht), um den „Wockenstock" gelegt und mit dem „Wockenblaa" (Wockenblatt), einem mit bunten Blumen verzierten Pappstück, umwickelt, auf das Spinnrad gesetzt und „anspunnen" (angesponnen). Nun wurde das Spinnrad auf den ihm gebührenden Ehrenplatz, vorn auf den Brautwagen, gebracht und dort zusammen mit dem Reiserbesen befestigt.

Dann wurde gefeiert. Für die Männer gab es Schnaps, Rauchwaren und Butterbrot, für die Frauen Kaffee und „Leohkeoken". Dieser Kuchen, heute Zuckeroder Platenkuchen genannt, wurde vor dem Brot im Backofen gebacken.

Auch früher hieß es schon „Scherben bringen Glück". Es durften aber nur Scherben von „Pöttkergeschirr", also Scherben von irdenen Töpfen, Krügen usw. sein. Alle irdenen Gefäße, die nicht mehr zu gebrauchen waren, wurden dem Brautpaar als Glücksbringer vor die Haustür geworfen, und es war alter Brauch, daß das Brautpaar die Scherben am anderen Morgen forträumte.

Die Feier auf der Briutdüißen wurde nur von den Gästen lange ausgedehnt, die nicht an der Hochzeit teilnahmen. Alle anderen machten früher Schluß, um für die Hochzeitsfeier frisch zu sein. Die Briutdüißen wurde stets im Hause der Braut, oder, wenn dies nicht möglich war, bei Verwandten oder guten Bekannten, aber nie im Hause des Bräutigams gefeiert.
Heiratete ein junges Mädchen in einen anderen Ort, fand die Feier einige Tage früher statt, damit der Brautwagen zur rechten Zeit an Ort und Stelle war. Bei einer Bauernhochzeit, hier waren es oft mehrere/Wagen, endete die Fahrt zunächst am Hoftor. Hier wurde so lange mit der Peitsche geknallt, bis der junge Bauer kam und zunächst kräftig einschenkte. Dann mußte er zumindest den ersten Wagen auf den Hof fahren. Die Braut konnte vorher wohl betr. der Aufteilung der Räume Anordnungen treffen und Wünsche äußern, durfte die Wohnung aber erst betreten, wenn sie als junge Frau einzog. Die Einrichtung der Wohnung erfolgte durch die Eltern, die Geschwister oder die Freundinnen der Braut.

Die Hochzeit
„Wer heiratet denn heute?" Das ist eine Frage die man oft hört, wenn am Freitagnachmittag die Glocken läuten. Bis 1953 hatten wir in Istrup keine Kirche, und keine Hochzeitsglocken waren zu hören, denn die Trauungen fanden in der altehrwürdigen Kirche in Reelkirchen statt. Trotzdem wußte es jeder, wenn ein junges Paar zum Altar schritt, um sich das Jawort fürs Leben zu geben.

Viele Hochzeiten waren Dorfsfeste, zu denen das ganze Dorf geladen wurde. Es waren die sog. „lustigen Hochtüien". Dann gab es noch „Kaffehochtüien", zu denen nur Verwandte und gute Bekannte geladen wurden. Auf beiden Hochzeiten gab es Kaffee und Kuchen, am Abend Butterbrot und während der ganzen Feier die nötigen Getränke. Auf den „vullen Hochtüien" gab es warmes Essen. Hierzu mußten die Gäste Löffel, Messer und Gabel mitbringen. Eingeladen wurde grundsätzlich durch den Hochzeitsbitter und zwar mindestens „tweumol sieben Dage vor der Hochtüit". Letzter zünftiger Hochzeitsbitter war hier der Schneider Heinrich Sieker in Mossenberg, der auch die größten Gedankenbeutel für vergeßliche Menschen nähte. Das Amt des Hochzeitsbitters war nicht immer leicht und wurde um so schwerer, je mehr es dem Abend zuging. Oft schaffte es „Süiker Heinach" nicht an einem Tage, denn in jeder einzuladenden Familie hatte er bei lustigen und Kaffeehochzeiten folgenden Spruch aufzusagen:

„Hier stell ich meinen Stock und Stab
und nehme meine Mütze ab.
Ich verkünde euch ein freundlich Kompliment
und soll es ja lieblich und freundlich vermelden
von Braut und Bräutigam, die ihr ja wohl kennt:
Am zweiten Freitag soll ihre Hochzeit sein
und sie laden euch hierzu geziemlich ein,
zu Kaffee, Kuchen, Tabak und Branntewein.
Wer sollte zu sehr verwöhnet sein,
für den liegen die Fässer mit Wein noch am Rhein.
Ich mache nochmal ein freudlich Kompliment
und meine, daß ich habe richtig bestellt."

Der „Stab" des Hochzeitsbitters war ein langer Haselnußstecken, der gerade gewachsen sein mußte. Oft war die Rinde in Windungen abgeschält, so daß weiße und grüne Streifen entstanden. Am oberen Ende trug der Stab einen Blumenstrauß, oft waren es künstliche Blumen. Auch die Mütze des Hochzeitsbitters zierten Blumen und ein buntes Band.

Wurde die Einladung angenommen, bekam der Hochzeitsbitter einen Schnaps eingeschenkt oder, da dies oft nicht mehr ratsam war, es wurde ihm ein Groschen in die Hand gedrückt, für den er sich damals zu gegebener Zeit 2 Schnäpse kaufen konnte. Da Süiker Hernach oft in jede Familie mußte, die nicht gerade in Trauer oder mit dem jungen Paar verfeindet war, konnte man ihm bald ansehen, wie anstrengend dieser Dienst war. War nur die ältere Generation miteinander verfeindet, wurde trotzdem zur Hochzeit eingeladen, und mancher alter Streit soll dadurch „inne Rüije brocht" (in die Reihe gebracht) sein. Süiker Heinach war sehr geschäftstüchtig. Ich erinnere mich daran, daß er einmal zur Hochzeit einladen wollte, aber seinen Spruch nicht mehr aufsagen konnte. Mein Vater sagte: „Lott man, Heinach, eck weut, wat diu seujjen wutt. Diu kannst bestellen, dat wüi keumen." Heinach meinte darauf: „Denn kannst diu müi dütmol tweu Grössens giewen. Eunen doför, datt eck hürwesen sin un eunen doför, datt diu müin Quaddern nich anhorn moßt"

Die Hochzeiten wurden meistens auf der Diele eines Bauernhauses gefeiert, denn die Wohnungen waren dafür zu klein, und Säle gab es nicht. Die jungen Leute feierten und tanzten auf der Diele, während sich die älteren in den dafür hergerichteten Kammern und Stuben aufhielten. Ich erinnere mich daran, daß einmal zu einer „lustigen Hochzeit" ein Zelt aufgebaut war. Und das war im Winter!

Bei allen Hochzeiten war es üblich, dass nur die Verwandten dem jungen Paare Geschenke machten, die anderen Gäste gaben Geld und bekamen dafür aus einem unter dem Tische des Hochzeitsbitters stehendem Korbe ein Butterbrot. Die Höhe des gegebenen Betrages wurde, für spätere Fälle, vom Hochzeitsbitter in eine Liste eingetragen.

Für die „Inhoiers" („Einhüter, die zu Hause gebliebenen Familienangehörigen) wurden nach dem Kaffeetrinken einige Stücke Kuchen in ein mitgebrachtes „Stükkedeok" gebunden - Stücktuch - Tuch, in welches sonst das Frühstück oder das Nachmittagsbrot gebunden wurde, wenn man dies mit zur Arbeitsstelle nahm.

Eine Frage war immer: Woher die vielen Tische, Stühle, Kochtöpfe, Tassen usw. nehmen? Teller waren nur dann erforderlich, wenn eine „vulle Hochtüit" - Hochzeit mit warmem Essen, gefeiert wurde.

Zum Herbeischaffen der Sachen fuhr einige Tage vor der Hochzeit ein Wagen durch das Dorf. Jeder gab, was er von den benötigten Sachen für einige Tage entbehren konnte. Unter die Tische, Stühle und Bänke wurde der Name des Eigentümers geschrieben, die kleineren Teile wurden in eine Liste eingetragen. Bei der Rückgabe kamen mal Verwechslungen vor, aber ich habe nie gehört, daß es dabei zu Streitigkeiten gekommen sei.

Im Mittelpunkt der Hochzeitsfeier stand die kirchliche Trauung. Eine Ziviltrauung gibt es erst seit Einrichtung der Standesämter, Von „ganz eiligen Fällen" abgesehen, fanden die Trauungen stets in der Kirche statt. Auch wenn es noch nicht ganz so eilig war, legte die Braut gleich nach dem Betreten der Kirche Kranz und Schleier ab, um beides vor dem Verlassen der Kirche wieder anzulegen. War die Braut nicht ehrlich gewesen und mit Kranz und Schleier zum Altar getreten, war es die bestimmt nicht angenehme Pflicht des Pastors, das betreffende Paar später zur Rede zu stellen. Ob diese Kirchenzucht in allen Kirchen geübt wurde, weiß ich nicht. Daß es in Cappel so war, weiß ich von dem verstorbenen Superintendenten Werner Wessel, der dort mehrere Jahre als Seelsorger tätig war.

Oft sollen Mütter ihre Töchter vor der Trauung instruiert haben, wie sie sich zu verhalten hätten, um auch in der Ehe das Regiment führen zu können. Einer dieser Ratschläge soll gelautet haben: „Paß jau up, datt die de Hand boben hast, wenn jüi juw vorn Altar de Hand griewet! Seo os et do ess, bliwt et för dat ganße Lieben!"

Einer der vielen Bräuche am Hochzeitstage war das „Schatten" (Schätzen), an dem sich in der Hauptsache Kinder beteiligten. An den Straßen, durch die der Hochzeitszug auf dem Wege von der Kirche kam, stellten sich die Menschen auf und riefen der Braut zu: „Vell Glücke för de Briut un vell Grössens hariut". Die Braut mußte sich rechtzeitig mit viel Kleingeld eindecken, besonders, wenn der Hochzeitszug zu Fuß ging, wie das in den Dörfern meistens war. Selbstverständlich sorgte der Bräutigam mit dafür, daß das nötige Kleingeld zum Hochzeitstage zusammen war, aber verteilen tat es nur die Braut. Sollte dies ein Hinweis darauf sein, daß in der Ehe das meiste Geld durch die Hände der Frau geht, oder daß die Frau freigiebiger ist als der Mann?

Die von den Kindern aufgelesenen „Briutpennje" wurden meistens bei der Mutter abgeliefert, denn dies war für die Kinder ein Geschäft. Die Mütter gaben den Kindern oft ein Mehrfaches des "Wertes dafür, denn die Brautpfennige brachten, wie konnte das auch anders sein, Glück. Besonders eifrige Sammlerinnen der Brautpfennige waren Mütter, die noch unverheiratete Töchter hatten. Für diese wurde dies glückbringende Geld bis zu deren Hochzeitstage aufbewahrt.

Bei den nicht so bescheidenen Erwachsenen ging dies in den meisten Fällen nicht so einfach zu. Der älteste Brauch ist wohl, Strohselle über den Weg zu legen und diese beim Nahen des Zuges straff zu ziehen. Der Zug wurde so lange aufgehalten, bis das für eine Flasche Schnaps benötigte Geld herausgerückt war. Es wäre ja einfach gewesen, über das Seil zu steigen, oder dieses zu zerreißen, aber wer wollte das schon wagen, denn das hätte bestimmt Unheil in die Ehe gebracht.

Wie mit vielen alten Bräuchen, wurde auch hiermit oft Unfug getrieben. Es kam vor, daß die Seile vorher mit Teer bestrichen wurden. War die Gabe nach Meinung der Schatter nicht groß genug, wurde mit dem Seil „wenket" (gewinkt), und wer dann nicht flink war, dem konnte es passieren, daß er mit Teer beschmiert wurde.Holte sich ein Mann eine Frau aus einem anderen Dorfe, waren die von den Erwachsenen gestellten Ansprüche besonders hoch, und zwar in jedem Dorfe.

Von den vielen alten Hochzeitsbräuchen ist nur das „Schatten" übriggeblieben. Dieser Brauch wird aber nur noch von Kindern regelmäßig ausgeübt und beschränkt sich meistens auf den Platz vor der Kirche.

So hat alles seine Zeit, aber es wäre schade, wenn diese alten und zum überwiegenden Teil sinnvollen Bräuche ganz in Vergessenheit gerieten.

Istrup im Winter 1976/77

Bemerkung:
In früherer Zeit fanden die Trauungen der größeren Bauern nicht in der Kirche statt, sondern der Pastor traute die Paare auf dem Hof.

Herbert Penke Juni 2004

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