Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Eine alt bäuerliche Hochzeit

Fritz Platenau Istrup †

Man schrieb das Jahr 1800. Es war im Spätherbst, als der Anerbe des Sprute Hofes in Schönemark, Konrad, eine Wanderung antrat. Das Ernte- und Herbstwetter war günstig gewesen, so daß die letzten Erntearbeiten und die Herbstbestellung frühzeitig beendet wurden und der elterliche Hof mal für einen Tag auf seine Arbeitskraft verzichten konnte. Konrad war ein großer Naturfreund und liebte es zu wandern, um gleichzeitig Land und Leute kennen zu lernen und um Anregungen für die Bewirtschaftung seines künftigen Erbes mitzunehmen. Er ging immer mit offenen Augen und Ohren durch die Natur und freute sich über den Gesang der Vögel und die Blumen am Wegesrande. Nun war es stiller geworden in Wald und Flur, und nur noch selten erklangen Vogelstimmen, aber sein waches Auge konnte sich erfreuen an den herrlichen Farben des herbstlichen Waldes und dem Leuchten der letzten Herbstblumen. Konrad war zeitig vom Hofe fortgegangen. Er benutzte Um- und Seitenwege, um zu seinem Ziele, dem Dorfe Oberschönhagen zu gelangen, wo sein Freund, der Bauer Albrecht Nolte, seine Hochzeit mit Anna Maria Ilsabein Niederschmidt feiern wollte.

Es war noch zu zeitig, um schon zum Hochzeitshause gehen zu können. Er verwandte die ihm verbleibende Zeit dazu, sich die Höfe in dem Doppeldorfe Ober- und Niederschönhagen anzusehen und über ihre Entstehung und Bedeutung nachzudenken. Alle lagen an dem kristallklares Wasser führenden Dorla-Bache, mal in größeren, mal in kleineren Abständen voneinander entfernt. Konrad wußte um die Bedeutung der „Hagendörfer" in altgermanischer Zeit und um die Mühen, dem Walde in Gemeinschaftsarbeit ein Stuck Ackerland nach dem anderen abzuringen. Die vielen, im Laufe der Jahrhunderte gemachten Anbauten zeigten deutlich, daß die Höfe nach und nach durch Rodungen vergrößert waren.
Ein kleines Erlebnis, dessen Tragweite er damals noch nicht erkennen konnte, hatte Konrad bei dem Hofe des Bauern Flake. Als er mit großem Interesse den stattlichen Hof betrachtete, bemerkte er im Garten ein etwa 13- 14 jähriges Mädchen. Es war Catrina, die Tochter des Hauses. Schlank gewachsen, mit rehbraunen Augen und kastanienbraunen Zöpfen, sah sie lebhaft und unschuldig in die Welt. Konrad sprach sie an und war erstaunt über die ungezwungenen Antworten des jungen Mädchens und dessen Kenntnisse um Haus und Hof, Feld und Flur.

Nun wurde es Zeit, zum Hochzeitshause zu gehen, wo ihn die Ereignisse von allen anderen Gedanken ablenkten. Als die Zeremonien beendet, dem Hochzeitsmahl und den Getränken gebührend zugesprochen war, wurde das Tanzbein geschwungen, wobei die alten Bräuche streng beachtet wurden. Es fanden sich auch Gelegenheiten zu ruhigen Plaudereien, und so kam es auch zu einem Gespräch zwischen Konrad und der jungen Frau seines Freundes. Konrad berichtete, welchen Eindruck das Dorf, die Höfe und die dazu gehörenden Ländereien auf ihn gemacht hatten. Dabei erwähnte er auch den Flake-Hof und erkundigte sich, vielleicht etwas eingehender als allgemein üblich, nach dem jungen Mädchen. Wie dies so geht, wurde die Hochzeitsfeier immer lebhafter, und Konrad hatte das Gespräch mit der Frau seines Freundes bald vergessen. Ein Sprichwort sagt: „Es wird keine Hochzeit gemacht, eine andere wird erdacht". So war es auch hier, denn die junge Bäuerin vergaß das Gespräch mit Konrad nicht.

Unter Mühe und Arbeit, Sorge und Hoffnung, aber auch Freude und Fröhlichkeit, ging die Zeit dahin. Konrad zählte nun 25 Jahre. Großgewachsen und stämmig, mit blauen Augen und dunklem Haar, hatte wohl schon manches Bauernmädchen ein Auge auf ihn geworfen. Konrad hatte sich immer zurückgehalten, denn so lange er nicht wußte, wann der Vater ihm wohl den Hof übertragen würde, wollte er in keinem jungen Mädchen Hoffnungen erwecken, und bisher hatte der Vater keinerlei Andeutungen gemacht. Sonntags, nach dem Mittagessen, das immer eingenommen wurde, sobald die Kirchgänger zurück waren, sagte der Vater zu Konrad: Kunrod, no der Andacht bliwst diu kort truijje, eck häbbe mie düi teo kürn."

Es war auf den Höfen Sitte, daß sonntags die „Neonetüit" (Mittagspause) bis 2 Uhr ausgedehnt wurde. Danach wurde Kaffee getrunken. Anschließend las der Bauer vor den Familienangehörigen und dem Gesinde eine kurze Andacht, dann konnte jeder bis zu den „Obendwerken" (Abendarbeiten) selbst über seine Zeit verfügen.

Konrad blieb zurück, und der Vater eröffnete ihm, daß sowohl er als auch die Mutter wünschten, daß er sich baldmöglichst verheiratet. Sie seien beide nicht mehr die Jüngsten. Er wisse ja auch, dass die Mutter kränklich sei und die ihr obliegenden Pflichten nur noch schwer erfüllen könne. Auf die Frage, ob er schon eine Wahl getroffen habe, antwortete Konrad mit einem Kopfschütteln, worauf der Vater sagte: „Nun, dann tue es mit Bedacht. Gewiß, Liebe und Zuneigung sind die ersten Bedingungen, aber wir leben in der Wirklichkeit. Deine Geschwister müssen abgefunden werden, ein Teil der Gebäude ist alt und muß im Laufe der Jahre ersetzt werden. Bleib also mit beiden Füßen auf der Erde. Weise auch den Rat und die Hilfe eines guten Menschen nicht zurück, denn in solchen Fällen sehen andere Menschen meistens mehr als man selbst. Eine Ehe kann wenige oder auch viele Jahre dauern, ob sie kurz oder lang war, das ist eine andere Frage. Wähle mit Bedacht, aber nicht zu lange, sonst bleibt dir am Ende nur die Spreu!"

Frau Nolte in Oberschönhagen hatte auf irgendeine Weise von dem Gespräch zwischen Konrad und seinem Vater erfahren. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Konrad an ihrem Hochzeitstage und sagte so vor sich hin: „Nun bin ich an der Reihe!" Sie überlegte, daß bis zum nächsten Freitag noch vier Tage seien, denn Liebes- und Eheangelegenheiten dürfen nur am Freitag in Angriff genommen werden. Lief die Sache erst, dann kam es nicht mehr so sehr auf den Tag an. Zu allem Glück fiel der Valentinstag (14. 2.) in diesem Jahre auf einen Sonntag, und kein Tag war für junge Menschen so glückverheißend als dieser. Es war schon bei Lichtmeß (2.2.) und darum keine Zeit mehr zu verlieren.

So scheute sie denn trotz des Winterwetters nicht den Weg nach Detmold, um „Büschüit" (Zwieback) für den unerwarteten Besuch bei Mutter Sprute einzukaufen, wie dies damals üblich war. Am Freitagnachmittag machte sich die Werberin auf den Weg zum Sprute-Hofe, wurde freundlich aufgenommen und, wie die Sitte dies gebot, gebeten, doch zum Kaffee zu bleiben, was sie gern annahm. Während Mutter Sprute den Kaffee zubereitete, unterhielt sie sich mit Vater Sprute und brachte das Gespräch geschickt darauf, daß es doch an der Zeit sei, daran zu denken, daß eine junge Frau auf den Hof müsse. Sie fand volle Zustimmung, und als die Kanne mit dem duftenden Kaffee auf dem Tische stand, wurde das Gespräch zu dritt fortgesetzt. Konrad sah kurz zur Tür herein, aber als das Gespräch dann plötzlich verstummte, merkte er, dass er nicht erwünscht war und zog sich zurück. Nun wurde der Plan in allen Einzelheiten besprochen, und als es für den Besuch Zeit war, an den Heimweg zu denken, war alles klar. Als Frau Nolte sich auf der Diele von Konrad verabschiedete, sagte sie: „Beinahe hätte ich doch über alle Rederei die Hauptsache vergessen! Ich soll dir von Albrecht bestellen, du möchtest ihn am übernächsten Sonntag besuchen. Er war bei seinem Vetter und hat da so allerlei erfahren, was er gern mit dir besprechen möchte. Komm aber nicht so spät, damit genug Zeit zum Klönen bleibt!" Konrad ahnte nichts von den geschmiedeten Plänen und sagte gern zu.

Auch Catrina wurde von Frau Noite eingeladen mit der Begründung, daß sie so lange keinen Nachmittag verplaudert hätten und jetzt noch Zeit dafür sei. Es dauere nicht mehr lange, bis die Feld- und Gartenarbeit begänne, und man ruhe sich dann am Sonntagnachmittag gern aus.

Alles verlief so, wie geplant. Die beiden jungen Menschen standen sich zunächst fremd gegenüber, denn an die kurze Begegnung vor mehr als drei Jahren dachten sie nicht mehr. Da mußten die Noltes erst einmal nachhelfen, und schon bald war der Bann gebrochen. Mit Genugtuung stellten Noltes fest, daß die beiden jungen Menschen Gefallen aneinander fanden. Als Konrad sich dann erbot, Catrina bei der Dunkelheit nach Hause zu begleiten, waren sie ihrer Sache sicher.

Mutter Flake war erstaunt darüber, daß Catrina jetzt nicht mehr so ablehnend war, wenn es hieß, mit Eiern und Butter nach Detmold zum Markt zu gehen, oder diese Sachen in die Wohnung der Kunden zu bringen. Mit der Zeit fiel ihr aber auf, daß dies immer nur an bestimmten Tagen der Fall war und sie diese Arbeit oft gern auf einen anderen Tag verschob. Auch zu den Noltes ging Catrina jetzt öfter als früher. Mutter Flake klopfte bei denen auf den Busch und erfuhr die Wahrheit. Ihrem Manne sagte sie noch nichts, denn sie wußte, dass dieser andere Pläne hatte, die auch Catrina Sorge bereiteten, die aber immer wieder verflog, sobald sie mit ihrem Konrad zusammen war. Bei einem Treffen versprach Konrad seiner Catrina, am nächsten Sonntag mit ihrem Vater zu sprechen, denn zwischen seinen Eltern und Catrina war alles klar.

Der Altbauer Johann Henrich Flake hatte sein Mittagsschläfchen beendet, reckte sich und wartete auf die erquickende Tasse Kaffee. Die sonntägliche Andacht, die jetzt immer sein ältester Sohn hielt, hatte er verschlafen. Es klopfte an die Stubentür. Der Aufforderung zum Eintritt leistete ein junger Mann höflich grüßend Folge und wurde aufgefordert, Platz zu nehmen. Bauern können schnell in ihren Entschlüssen sein, aber unbekannten Menschen gegenüber sind sie immer mehr als zögernd, und in der Redensart, daß zwei Bauern erst einen Scheffel Salz miteinander gegessen habe müßten, ehe sie Vertrauen zueinander faßten, liegt mehr als ein Körnchen Wahrheit. So kam es auch hier nicht gleich zu einer regen Unterhaltung, sondern es war zunächst ein gegenseitiges Abtasten. Als Wetter, Vieh, Saat und Ernte und die neuesten Tagesereignisse keinen Gesprächsstoff mehr boten und die Unterhaltung einzuschlafen drohte, fiel Vater Flake plötzlich ein, daß Catrina entgegen aller Gepflogenheit, öfter in das Zimmer gekommen war. Er ahnte Zusammenhänge und fragte nun den jungen Mann, der ihm immer besser gefiel, geradezu: „Wo sind Seu teo hiuse?"

Nun war auch für Konrad, als dem jüngeren Menschen, die Zeit gekommen und er sagte nicht ohne Stolz:
„Eck sin Kunrod Spriute iut Scheunemark. Eck sin de Anerwe. Wüi hat sess Peere in'n Stalle." „Sess Peere! Dat ess ja ollerhand! Obber niu hat wüi wal geneog tunkelört", (Verstecken gespielt).

Vater Flake sah also seine Vermutung bestätigt. Obwohl es für einen Bauern, zumal einen alten, schwer ist, einen Plan aufzugeben oder nachzugeben, fiel es ihm diesmal nicht schwer. Er ging zur Stubentür, öffnete diese und rief zur Diele hin:
„Catrüinken, wo bliwst diu denn? Wüi witt seo butz Kaffedrinken. De junge Biuer hat Dost!"

War Catrina schon immer ein fleißiges, hurtiges Mädchen gewesen, so wurde sie jetzt besonders flink. Schon nach kurzer Zeit stand das duftende Getränk auf dem Tisch. Als Catrina dann neben dem Vater saß, flüsterte sie ihm ins Ohr: „Pappe, eck häbbe Kunrod leuw. Wüi sind üs eunig. Oi baule sall de Hochtüit süin!"

Verständnisvoll sah der Vater seine Tochter an und flüsterte ihr eben so leise in's Ohr: „Wüi Ollern witt dat naijesten Sunndag bekürn."

Als Konrad sich verabschiedete, baten ihn die Eltern Flake, am nächsten Sonntag mit seinen Eltern zu kommen. Die ältere Generation kannte sich schon lange, und es war eine freundliche Begrüßung, als der Sprutesdie Wagen mit den Eltern und Konrad eintraf. Nachdem in aller Ruhe Kaffee getrunken und die letzten Ereignisse im Bekanntenkreise besprochen waren; fand die bei jedem Besuch übliche Besichtigung statt. Die Männer besichtigten zunächst das Vieh und dann die Feldfrüchte, wobei lebhafte Erfahrungen ausgetauscht wurden. Die Frauen besichtigten die Räume des Hauses, und das Interesse von Mutter Sprute galt besonders den Leinentruhen, deren Inhalt und Güte von ihr mit Kennerblick geprüft und für gut befunden wurde. Nach der Besichtigung trafen sich alle wieder in der großen Wohnstube, wo alles nochmal gemeinsam besprochen wurde. Die Frauen und Konrad wußten, daß die beiden Väter jetzt allein sein wollten und besichtigten die Ställe. Dabei zeigte Catrina ihrem Konrad ihre Lieblingskuh, die sie als Brautschatz mitnehmen durfte.

Die beiden Väter besprachen nun bei einigen Klaren und Tabak die Höhe des Brautschatzes, denn „Vörher Bescheud, giwt nohers keun Kreut" (Vorher Klarheit, gibt später keinen Streit). Die Höhe der Leinen- u. Wäscheaussteuer bestimmte die Brautmutter, darüber wurde nicht verhandelt. Dafür, daß diese Aussteuer nicht gering ausfallen würde, bürgten die vollen Truhen.

So hatte von dieser Seite aus alles seine Ordnung, und es mußte nun festgesetzt werden, an welchem Sonntage der Gegenbesuch auf dem Sprute-Hofe erfolgen sollte. Er wurde auf den nächsten Sonntag festgesetzt. Auch hier verlief alles zur beiderseitigen Zufriedenheit, und der Festsetzung des Hochzeitstages stand nichts mehr im Wege. Der erste Freitag im Oktober wurde dafür festgelegt.

Nun ging es mit Eifer an die Hochzeitsvorbereitungen, denn viel Zeit blieb dafür nicht mehr. Der ganze Brautschatz musste zum Hochzeitstage vollständig zusammen sein, denn „Noklüngelüjje" (Nachklüngelei, Nachlieferung) galt als Beweis für „Powerkeut" (Zahlungsschwäche), und das wollte sich doch niemand nachsagen lassen.

Die Einladung zur Hochzeit musste spätestens „tweumol siem Dage" (zweimal sieben Tage) vor der Hochzeit erfolgen. Diese erging niemals schriftlich, sondern immer durch den Hochzeitsbitter, und zwar in den entferntest liegenden Orten zuerst. So sah man denn ab Mitte September einen aufgeputzten Mann von Ort zu Ort eilen. Hut oder Mütze, und auch der Anzug waren mit Blumen und bunten Bändern reich verziert. Statt des „Gundagstockes" (Spazierstockes) trug er einen langen, gerade gewachsenen Haselnußstecken, der ebenfalls reich verziert und mit einem Blumenstrauß gekrönt war. Die Rinde war in Windungen streifenweise abgeschält, so daß der Stab grün und weiß war. So ausstaffiert, ging der Hochzeitsbitter in den entfernteren Orten zu den ihm bekannten Familien und in den Heimatorten der Brautleute von Haus zu Haus, wenn die Familien, nicht gerade in Trauer oder mit einem der Brautleute verfeindet waren. War nur die ältere Generation miteinander verfeindet, wurde trotzdem eingeladen, wodurch manch alter Streit beigelegt worden ist. Ärmere Familien lehnten die Einladung oft ab mit den Worten: „Gruiße olle, de doteo gehort un bestelle, wüi wollen üs jiejensüitig geot blülwen. Van üs keume euner in der naijesten Wecken." In der Woche nach der Hochzeit würde also jemand aus der Familie kommen, um zu gratulieren und sich ein Brot abzuholen. In solchen Fällen blieb es nicht bei einem Brot, sondern es wurden auch noch Sachen mitgegeben, an denen die Familie Mangel litt.

Doch nun zurück zum Hochzeitsbitter. Hier lud er zu einer „vullen" - vollen oder „Kosthochzeit" ein, zu der die Gäste die Bestecke mitbringen mußten. Der von ihm aufzusagende Einladungsspruch lautete:

„Zur schönen Herbstzeit komm ich geschritten,
Euch, liebe Familie . . . , zur Hochzeit zu. bitten.
Das Brautpaar, Konrad Sprute aus Schönemark und Catarina Flake aus Niederschönhagen, läßt Euch schön grüßen,
Es will den ewigen Bund für's Leben schließen.
Am , zweiten Freitag soll die Hochzeit sein, wir hoffen,
Daß wir den richtigen Tag getroffen.
Freya mag das Schicksal der Beiden lenken,
Mag ihm schönes Wetter und Glück im Leben schenken!
Damit jeder das Hochzeitspaar auch achtet,
Hat Vater Flake ein Rind, ein Kalb und zwei Schweine geschlachtet.
Für Wein, Bier und Branntwein will Vater Flake auch gut sorgen,
Dann kann gefeiert werden bis zum hellen Morgen.
Um 12 Uhr soll's Brautpaar im Hochzeitshaus kopulieret werden,
Möge es stets einig sein auf dieser Erden!
Drum alle, ja alle, Ihr habt's ja vernommen,
Seid dem Hochzeitspaar von Herzen willkommen!
Nun nehm ich den Stab, was soll ich beginnen?
Ich schreite zum nächsten Haus und eile von hinnen."

Dem Bräutigam oblag es nun, die Bräutigamsknechte zu bestimmen und ein zuladen. Dementsprechend suchte sich die Braut die Brautmägde aus, unter denen ihre beste Freundin selbstverständlich eine Sonderstellung einnahm. Dies „Bestimmen" war nur eine Formsache, denn das Brautpaar hatte vorher schon alles besprochen und die Zustimmung der betreffenden Personen erhalten.

Zu jeder Hochzeit gehört die „Briutdüißen". Auch auf dem Flake-Hofe wurde die Briutdüißen nach alter Sitte gefeiert. Rechtzeitig vor der Hochzeit wurden die Brautwagen in Ordnung gebracht, wozu die besten Wagen ausgesucht wurden. Weil aber die guten Wagen vom Hofe des Bräutigams nicht ausreichten, wurden heimlich Wagen vom Elternhofe der Braut herübergeschafft, und zur festgesetzten Zeit ging es im geschlossenen Zuge zum Hofe der Brauteltern. Die Fahrer verlangten zunächst sehr viel vom Brautvater, ließen dann aber gegen gutes Essen und die nötigen Getränke mit sich handeln. Nach dem Aufladen des Brautschatzes wurde kräftig gegessen und getrunken. Während dieser Zeit versuchten einige Männer, Sachen, die zum Haushalt der Brauteltern gehörten, mit auf dem Brautwagen verschwinden zu lassen, und es gab dann ein vergebliches Suchen. Der Sitte entsprechend, wurden alle übrig gebliebenen Speisen und Getränke mitgenommen.
Da die Trauung im Hause der Braut stattfand, der sonst übliche Hochzeitszug also fortfiel, wurde dieser Zug unterwegs wiederholt durch gespannte Seile oder vorgehaltene Latten so lange aufgehalten, bis der Fahrer des ersten Wagens Geld unter die Wartenden warf.

Vor dem Hoftor des Sprute-Hofes machte der Zug halt. Nun wurde so lange mit den Peitschen geknallt, bis der junge Bauer kam, kräftig einschenkte und dann den ersten Wagen auf den Hof fuhr. Er bekam dabei aber keine Peitsche, denn ein zu strenges Regiment sollte er nicht führen.

Es war ein strahlend schöner Herbstmorgen, als auf dem Flake-Hofe die letzten Vorbereitungen für die Hochzeitsfeier getroffen wurden. Konrad und Catrina waren schon zeitig auf den Beinen. Ihre erste Arbeit war, die vielen Scherben der Briutdüißen wegzuräumen - so war es Brauch und Sitte, und so wurde es auch gehalten. Die Männer sorgten dafür, dass wieder Ordnung geschaffen wurde, was nach dem Trubel des Vorabends keine Kleinigkeit war. Ihre Aufgabe war es auch, dafür zu sorgen, dass die Tische und Stühle für das Hochzeitsmahl an den richtigen Platz kamen. Die Frauen hatten ihren Arbeitsplatz in Küche, Keller und Vorratsräumen. So herrschte überall reges Leben und Treiben. Ab 11.00 Uhr trafen dann die entfernter wohnenden Gäste und auch der Pastor aus Detmold mit seinem Kantor ein. Alles war nun vorbereitet, und es wurde ruhiger.

Inzwischen war die Braut von den Brautjungfern mit Kranz und Schleier geschmückt, diese hatten ihre Blumensträuße erhalten, dem Bräutigam und den Bräutigamsknechten waren die Myrtensträußchen angesteckt. Nun ordneten sich die Paare und begaben sich auf die mit Tannengrün geschmückte Diele, wo die Gäste schon versammelt waren und der Pastor das junge Paar erwartete. Nach der feierlichen Handlung und den Glückwünschen der Anwesenden wurde das Hochzeitsmahl aufgetragen. Die Stuben und Kammern reichten nicht aus, um alle Gäste aufzunehmen und waren den näheren Verwandten vorbehalten; alle anderen Gäste speisten auf der Diele.

Es war üblich, den Pastor und seinen Kantor zum Mittagessen einzuladen. Eine Ablehnung hätten die Eltern und das junge Paar als eine schwere Beleidigung empfunden. Das junge Paar hätte seinen ersten Kirchgang dann in einer anderen Kirche gemacht. Während des Essens hielt der Pastor eine kurze Ansprache und brachte ein Hoch auf das junge Paar aus.

Nachdem alle Gäste sich ausgiebig gestärkt hatten, wurde die Diele zum Tanz ausgeräumt und mit weißem Sand bestreut. Die ersten drei Tänze gehörten dem Brautpaar, den Brautjungfern und den Bräutigamsknechten. Der erste war für Konrad und Catrina allein - der zweite für beide und die erste Brautjungfer und den ersten Bräutigamsknecht - der dritte für das Brautpaar und alle Brautjungfern und Bräutigamsknechte bestimmt. Danach war der Tanz für alle Hochzeitsgäste frei. (Diese Regel wird auch heute noch eingehalten).

Nun zog sich das junge Paar in ein Nebengemach zurück und nahm hier die Gaben der Gäste entgegen. Die Verwandtschaft hatte ihre Gaben schon bei der Ankunft überreicht. Die Gäste kamen einzeln herein und überreichten ein in Papier gewickeltes Geldgeschenk, worüber der Hochzeitsbitter eine Liste führte. Diese wurde aufbewahrt, und wenn das junge Paar später zu einer Hochzeit geladen wurde, zahlte es genau den Betrag, den es erhalten hatte. Unter dem Tische des Hochzeitsbitters stand ein großer Korb mit Zuckerstuten, von denen jeder Geber, gleichsam als Quittung, einen erhielt. Inzwischen ging die Feierei auf der Diele lustig weiter. Die Musikanten spielten fleißig auf, und manches Gläschen wurde auf das Wohl des jungen Paares geleert.

Der Höhepunkt der Hochzeitsfeier wurde um 12.00 Uhr nachts erreicht, denn nun wurde der jungen Frau der Myrtenkranz „abgetanzt". Hierzu nahm das junge Paar mitten im Tanzraum auf zwei Stühlen Platz. Die jungen Hochzeitsgäste fassten sich an den Händen und nahmen so im Kreise Aufstellung, dass sich das junge Paar in der Mitte befand. Nun sangen alle zu den Klängen der Musik das Brautjungfernlied: „Wir winden dir den Jungfernkranz." Während des Singens nahmen Brautjungfern der jungen Frau Myrtenkranz und Schleier ab und setzten ihr eine Spitzenhaube auf. Der Myrtenkranz wurde nun der Brautjungfer aufgesetzt, von der man annahm, dass sie wohl als nächste „unter die Haube" kommen würde. Dem jungen Ehemann setzte man eine Zipfelmütze auf, und aus einer langen Pfeife musste er rauchen.

Nun erhielten die beiden unter dem von den Brautjungfern hochgehaltenen Brautschleier einen Ehrentanz. Von da ab tanzte Konrad nur mit verheirateten Frauen und Catrina nur mit verheirateten Männern. Dies hatte symbolische Bedeutung und sollte zeigen, dass die beiden Eheleute nunmehr zu den „Alten" gehörten, was Catrina, angesichts ihrer 17 Lenze, doch recht eigenartig vorkommen mochte.

Selbstverständlich feierte das Gesinde der beiden Höfe mit. Die anfallenden ständigen Arbeiten, insbesondere die Versorgung des Viehes, wurde von den Leuten der Nachbarhöfe übernommen. So war es möglich, dass sich alle Leute der beiden Höfe an dem nun folgenden „üp de Lüiwtucht blosen" (auf die Leibzucht blasen) beteiligen konnten.

Die Knechte der beiden Höfe verschwanden für kurze Zeit und erschienen dann peitschenknallend wieder auf der Tanzfläche, wo alles zur Seite wich. Als die Diele frei war, stellten sich die Knechte in der Niederntür auf, dann kamen die Musikanten und dahinter das alte Ehepaar Sprute. Diesen folgten alle auf den beiden Höfen beschäftigten Menschen. Mit Musik und Peitschenknallen wurden die „Alten" auf die Leibzucht geblasen, denn sie hatten ja nun ihre „Möjjertüit" (Meierzeit, Zeit der Bewirtschaftung des Hofes) beendet und einer neuen Generation Platz gemacht. Wäre die Hochzeit auf dem Sprute-Hofe gefeiert, so wäre der Zug erst durch alle erreichbaren Ecken des Hofes gezogen, bevor er auf der Diele des Leibzuchtsgebäudes endete. Dies war immer der lauteste Teil der bäuerlichen Hochzeitsfeiern.

Während dieses Tumultes war das junge Paar heimlich verschwunden. Wohin, wußten nur wenige, und die verrieten nichts. Auch die älteren Hochzeitsgäste zogen sich allmählich zurück und wurden, wenn der Heimweg zu weit war, für den Rest der Nacht auf den Nachbarhöfen untergebracht. Auch die näheren Verwandten verschwanden nach und nach, denn ihnen stand die Aufgabe bevor, die junge Frau am nächsten Morgen zum Sprute-Hofe zu begleiten. Das junge Volk aber feierte bis zum Morgengrauen durch und hatte kaum Zeit sich umzuziehen, um rechtzeitig mit den Morgenarbeiten beginnen zu können.

Gut ausgeruht traf man sich am Frühstückstisch wieder und stärkte sich mit Speis und Trank. Danach war für Konrad und seine Angehörigen die Zeit zum Aufbruch gekommen. Sie führen in Spruteschen Wagen heim nach Schönemark, um die junge Frau dort gebührend empfangen zu können. Kurz darauf fuhr auch Catrina mit ihren Angehörigen im Flakeschen Wagen ab zu ihrem neuen Wirkungskreis. Mehrere Bräutigamsknechte ritten dem Wagen vom Sprute-Hofe aus entgegen. Nachdem sie die junge Bäuerin feierlich begrüßt hatten, ritten sie im Galopp zum Sprute-Hofe zurück. Wer als Erster dort ankam, war Sieger.

Bald kam auch der Wagen mit Catrina und ihren Angehörigen, aber nur bis vor das Hoftor, wo die Bräutigamsknechte warteten. Zunächst wurde gefragt, ob man willkommen sei. Nachdem man die späte Ankunft kritisiert hatte, was aber mit den schlecht geschmierten Achsen (fehlender Alkohol) entschuldigt wurde, gewährte man Einlaß. Nun empfing Konrad die Ankommenden mit einem Glas Branntwein und trank zuletzt seiner Frau zu. Diese nahm das Glas und warf es mit der linken Hand über die linke Schulter. Daß es dabei zersprang, war ein gutes Zeichen. Nun mußte Catrina aussteigen, und der Wagen fuhr ohne sie auf den Hof. Catrina musste den Hof durch ein Loch im Zaun, oder durch ein Seitenpförtchen betreten. Das Loch im Zaun wurde sofort wieder geschlossen, bzw. die Pforte mit einer Handvoll Flachs zugebunden. Die junge Bäuerin gehörte nun für immer zum Hofe und waltete auch gleich ihrer ersten Ämter.

Konrad übergab ihr ein Brot, von dem sie ein Stückchen abschnitt und für immer aufbewahrte. Das bedeutete: Möge das Brot nie fehlen! Das angeschnittene Brot wurde an die Armen verteilt als Zeichen dafür, daß die junge Bäuerin auch freigiebig sein könne. Dann überreichte sie dem siegreichen Bräutigamsknecht den ihm zustehenden Preis: eine Flasche Wein, ein Brot und einen Käse. Als Gegengabe erhielt Catrina einen kleinen Strauß getrockneter Gewürzkräuter.

'Mondag wärt nich weckenault' (Montag wird keine Woche alt), sagt ein Sprichwort, und so sah der Sprute-Hof ab Dienstag der nächsten Woche noch viel Besuch. Es war Sitte, dass die junge Bäuerin in der ersten Woche nach der Hochzeit jedem bedürftigen Besucher ein Brot schenkte. Bekannte, die nicht an der Hochzeit oder am Polterabend teilgenommen hatten, kamen jetzt, um dem jungen Paare ihre guten Wünsche zu überbringen. Sie wurden nicht, wie sonst üblich, zum Frühstück oder Kaffee eingeladen, sondern es wurde ihnen nur ein Schnaps eingeschenkt. Dies bedeutete: Die Feierei und Schwelgerei ist vorbei, der Ernst des Lebens hat wieder sein Recht!

Mehr als ein Jahrhundert ruhen Konrad und Catrina nun schon in heimatlicher Erde, auf der sie für sich und ihre Nachkommen gewirkt und der sie mit Hingabe und Treue als dem ihnen für ihre Schaffenszeit anvertautem Gut gedient haben. Vieles hat sich seit dem Einzug Catrinas auf dem Sprute-Hof gewandelt. Die Anbau- und Arbeitsmethoden sind andere geworden, und manch alter Brauch ist in der Hetze der Zeit untergegangen. Eines aber ist für die Bauern unverändert geblieben: die Verantwortung vor Gott, den Mitmenschen und sich selber. Möge uns allen eines aus der vergangenen Zeit erhaltenbleiben:
Die Ehrfurcht vor dem täglichen Brot!

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