Der Genealogische AbendNaturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V. |
Die Ziegelbotenfamilie Eckensträter aus Ehrentrup! von Dr. Annette Hennigs Wanderarbeit – insbesondere die saisonale Arbeitswanderung der Ziegler – war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein in Lippe weit verbreiteter Erwerbszweig. Im Frühling wanderten die Ziegler in die Ziegeleien der Niederlande und Nordwestdeutschlands und im Herbst kehrten sie zu ihren Familien zurück, um mit anderen Tätigkeiten im Winter ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Wanderungen verliefen keineswegs zufällig, sondern wurden schon früh durch einen sog. „ holl- und friesländischen Boten“ organisiert. Über mehrere Generationen war diese Tätigkeit ein Monopol der Familie Eckensträter aus Ehrentrup bei Lage. Der erste nachweisbare Bote war Johann Jobst Eckensträter. 1714 erhielt er gemeinsam mit seinem Sohn Hartwig ein Privileg für seine Tätigkeit, die er nachweislich aber schon seit dem späten 17. Jahrhundert ausübte.1 „Durch ihre Bekanntschaft mit den Ziegeleibesitzern und ihre sonstige Sach- und Localkenntnis waren sie im Stande, den Auswandrern2 passende Arbeit zu verschaffen und sie mit Rath und That zu unterstützen. Sie mußten mehrmals, mindestens aber zweimal, des Jahrs Rundreisen unternehmen, um sich nach den Bedürfnissen der Ziegeleibesitzer zu erkundigen und die Briefe für die Ziegelarbeiter hin und zurück zu befördern. Der Lohn, den sie dafür erhielten, war – nach den erzählten Vorgängen zu urtheilen – gewiß nicht unbedeutend, wiewohl Eickensträter versichert, er bestehe ‚nur in einigen willkürlichen Groschen, welche die Leute bei dem Engagement und nachher bei Ueberbringung der Briefe bezahlten.“3 Der Bote reiste im Januar zu den ausländischen Ziegeleien, um den dortigen Bedarf an Arbeitern zu ermitteln und Kontrakte auszuhandeln. Nach seiner Rückkehr vermittelte er diese Arbeitsplätze an Interessenten. Um Johannis (24. Juni) reiste der Bote wieder zu den ausländischen Ziegeleien, um den Nachrichtenverkehr zwischen den Arbeitern und ihren Familien zu besorgen und Geld zu transportieren.4 Seine Tätigkeit hatte Johann Jobst Eckensträter offensichtlich aus eigener Initiative aufgenommen, vielleicht witterte er so etwas wie eine Marktlücke. Dass er dazu zunächst selbst Erfahrungen als Wanderarbeiter sammelte, vermutete auch schon Falkmann.5 Ein landesherrliches Privileg beantragte Hartwig Eckensträter erst 1714: „hierdurch unterthänigst supplicande vorzutragen, kan ich nicht umhin, welcher Gestalt mein Vater Johann Jobst Eckensträter sich viele Jahre, alß Frießländischer Botte und auch ich nunmehro schon 12 Jahre in gleicher Qualität mich habe brauchen lassen, auch wohl dabey Zeit Lebens continuiren wolte, wan ich nur versichert wäre, daß mir keiner darin Eingriff thun und meine Nahrung desfals schwächen dörffe.“6 Das daraufhin erteilte Privileg erstreckte sich auf Ostfriesland und die niederländische Provinz Groningen. Für das Privileg musste Eckensträter keine Gebühr bezahlen – ein Indiz dafür, wie gering seine Tätigkeit zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeschätzt wurde. Das änderte sich, als 1736 der Ziegelknecht Hermann Henrich Schluer aus Heidenoldendorf versuchte, das offenbar doch recht lukrative Amt des Hartwig Eckensträter zu übernehmen.7 Für das Privileg bot er der Regierung eine Summe von 100 Talern an, woraufhin Eckensträter das Privileg entzogen wurde. Im darauffolgenden Streit um das Privileg erhöhte sich die Summe auf 270 Taler. 1737 wurden Schluer ein Privileg und ein Pass ausgestellt. Eckensträter reagierte mit einem Privileg, dass er sich in den Zuwanderungsgebieten im norddeutschen Einflußbereich Georgs II. von England ausstellen ließ. Zudem ließ er sich Atteste von Ziegeleibesitzern ausstellen, in denen diese auf einer weiteren Zusammenarbeit mit Eckensträter insistierten. Die folgenden Ereignisse belegen die enge Kooperation zwischen dem Boten, der offensichtlich eine hohe Vertrauensstellung genoss, und den Arbeitern, die auf die Vertrauenswürdigkeit ihres Boten angewiesen waren. Einige Ziegler aus Lage beschwerten sich über Schluer, mit dessen Tätigkeit weder sie selbst noch ihre ausländischen Arbeitgeber zufrieden waren. Sie waren deswegen auf eigene Faust nach Ostfriesland gegangen und hatten den ganzen Sommer über vergeblich auf einen Boten gewartet, „und keine Brieffe noch sonsten etwas anhero schicken können, gleich wohl doch geschehen mußten, umb unseren Frauen und Kindern den Lebensunterhalt alß auch die herrschaftlichen Praestanda vor unsere Stetten entrichtet zu werden senden zu können.“ Auch die versprochenen Arbeitsplätze hatte Schluer nicht vermittelt.8 Eckensträter ließ sich nicht wehrlos aus dem Amt verdrängen. Seine Vertrauensstellung sowohl bei den Wanderarbeitern als auch bei den Arbeitgebern im Ausland bewirkte eine Ablehnung Schluers auf breitester Ebene, während Eckensträter selbst – illegal – weiterhin seinem Geschäft nachgehen konnte. Die Opposition gegen Schluer eskalierte im Sommer 1737, als dieser bei der Ankunft auf einer ostfriesischen Ziegelei von seinen Landsleuten kräftig verprügelt wurde.9 Auch zu Hause sah er sich schweren Beschimpfungen ausgesetzt.10 Weil die Bezahlung von den unzufriedenen Wanderarbeitern ausblieb, musste Schluer letztendlich 1740 hochverschuldet vor seinen Gläubigern ins Ausland flüchten, wo er bei Nieheim einen Ziegelofen pachtete.11 Schon 1739 hatte Hartwig Eckensträter sein Privileg gegen eine Zahlung von 200 Talern, die alle drei Jahre erneut geleistet werden musste, zurückerhalten. 1748 folgte ihm sein Sohn Jobst Hermann Eckensträter in dieses Amt. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Familie Eckensträter ein Privileg inne, mit dem sie im Grunde gegen das Gesetz handelte, wenn sie es ausübte. Wanderarbeit war bis weit in das 18. Jahrhundert hinein verboten und machte erst eine gewisse Phase der ungern gesehenen Duldung durch, bis unter Fürstin Pauline Wanderarbeit nicht mehr als illegal stigmatisiert wurde. Diesen Widerspruch löste die Regierung, in dem sie die Funktion des Zieglerboten zunehmend instrumentalisierte, um etwas, das nicht zu verbieten war, zumindest zu kontrollieren. Seit 1778 musste Eckensträter umfangreiche Listen führen, in denen er die von ihm begleiteten Wanderarbeiter verzeichnete.12 Außerdem musste er überwachen, dass in seine Liste nur Personen aufgenommen wurden, die einen ordnungsgemäß ausgestellten Pass bei sich hatten. Gleichzeitig geriet die Position des Eckensträters gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend in das Kreuzfeuer der Kritik. Der landesherrliche Beamte Erp-Brockhausen verlangte die Entlassung des Boten, „der unter dem Schutze seines Monopols eben so sehr die Ziegelherren in Abhängigkeit halte, als die Ziegelarbeiter tyrannisiere und aussauge.“13 Bis zu diesem Zeitpunkt gab es für die Wanderarbeiter keine feste Taxe, nach der sie ihren Boten zu entlohnen hatten. Stattdessen erhielt Eckensträter „ freiwillig gezwungene Geschenke “, deren Umfang über die Qualität des Arbeitsplatzes entschied, den Eckensträter an den Einzelnen zu vergeben hatte.14 Um 1800 muss es dabei vor allem in Lage, einem der wichtigsten Zieglerzentren in Lippe, zu tumultartigen Szenen gekommen sein, in deren Verlauf einer der Arbeiter geäußert haben soll: „ Eikensträter ist unser Gott! “15 Von Seiten der Regierung war man aber zunehmend bestrebt, das Monopol des Eckensträters zu brechen. 1801 wurde mit Christian Reuter aus Lage ein zweiter Ziegelbote privilegiert. Dies wurde durch einen juristischen Trick möglich: Eckensträter bediente zwar den gesamten Raum, in dem lippische Ziegler tätig waren, sein Privileg benannte aber nur die beiden Gebiete, in denen die Lipper 1714 zum Zeitpunkt der ersten Ausfertigung dieses Privilegs tätig gewesen waren, Friesland und Holland. Im Laufe der Zeit hatte sich der Wirkungskreis der Ziegler erheblich im Norden und Nordwesten ausgedehnt, ohne dass dies im Privileg nachgetragen worden wäre. Für Reuter wurde also ein Privileg für Oldenburg, Delmenhorst, Lingen, Bremen und Holstein ausgestellt, das aber Eckensträter heftig bekämpfte, indem er Druck auf die Ziegler ausübte, Reuter zu meiden. Im Oktober 1802 verstarb Eckensträter überraschend, aber für Reuter enstpannte sich die Situation zunächst nicht. Der Bruder des Verstorbenen hielt die Opposition der Arbeiter gegen Reuter aufrecht. 1805 übernahm Reuter die Gebiete Holland und Friesland, der neu eingestellte Bote Grabbe aus Heiden besorgte den Botendienst in den übrigen Regionen. Im selben Jahr erließ die Regierung eine Verordnung, die die Autorität der beiden Boten untermauern sollte und die Wanderarbeiter auf die Inanspruchnahme dieser Botendienste verpflichtete.16 In der Folgezeit mussten sich die beiden lippischen Boten die Konkurrenz des bückeburgischen Boten Berke gefallen lassen, der der Arbeitgeber des Bruders des verstorbenen Eckensträter geworden war und daher vermutlich über entsprechende Kontakte verfügte. Als 1809 Grabbe starb, wurde Berke offiziell sein Nachfolger in Lippe. Damit wollte man ähnliche Auseinandersetzungen wie bei der Anstellung des Boten Reuter vermeiden. Die folgenden Jahre waren für die beiden Boten von Seiten der lippischen Klientel her wohl eher ruhig. Dafür gerieten sie in Streitigkeiten mit den friesischen Ziegeleibesitzern, die versuchten, eine Herabsetzung des Arbeitslohnes zu erzwingen, weil durch die Kontinentalsperre ihre überseeischen Absatzmärkte nicht mehr beliefert werden konnten. Als Interessenvertreter der lippischen Arbeiter gelang es den Boten, die Lohnkürzungen zu verhindern.17 Falkmann resümiert die Entwicklung des Botenwesens folgendermaßen: „Die Functionen der Ziegelboten waren im Wesentlichen unverändert geblieben, nur daß im Verlaufe der Zeit ihr Verhältniß zu der Regierung ein immer engeres wurde, indem das Bedürfniß einer genauern Controlle ihres so wichtigen Geschäftszweiges sich mehr und mehr fühlbar machte.“18 Darüber hinaus hatte sich der Botendienst im Laufe des Jahrhunderts seit seinem ersten quellenmäßigen Erscheinen dadurch erweitert, dass der privilegierte Bote seinerseits Ziegler als Nebenboten angestellt hatte, die ihm zumindest einen Teil der Reisetätigkeit abnahmen, was aufgrund der fortschreitenden Ausdehnung des Wanderarbeitsgebietes auch notwendig geworden war. „Es wurde daher im Jahre 1815 für den District eines jeden Ziegelboten und unter deren Aufsicht ein besonderer Nebenbote angestellt und concessioniert. Sie hatten insbesondere den Transport der Briefe und Päckereien zu besorgen, fungirten aber auch im Uebrigen als Assistenten der Ziegelboten und zur Controlle der Arbeiter, wogegen sie eine Caution zustellen und die ihnen vorgeschriebenen Taxen zu beobachten hatten. Ueberdem waren sie verpflichtet, zur Vermeidung der später mehrmals sich wiederholenden Collisionen mit Post- und Steuerbehörden ein schriftliches Certificat der Regierung stets bei sich zu haben.“19 Aus einem ursprünglich privaten Unternehmen war damit eine staatliche Kontrollinstanz geworden. Mit dem zunehmenden staatlichen Einfluss auf den Posten des Zieglerboten ging auch die Alleinherrschaft der Eckensträters in diesem Bereich zu Ende. Anmerkungen * Der Beitrag ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus dem Buch der Autorin: Gesellschaft und Mobilität. Unterwegs in der Grafschaft Lippe 1680 bis 1820, Bielefeld 2002. 1 Staatsarchiv Detmold (= StA DT) L 37 X Nr. 4c Bl. 13. 2 Gemeint sind die Wanderarbeiter, die ihre Heimat nur saisonal verließen, keine dauerhaften Auswanderer. 3 August Falkmann: Historische Bemerkungen über die s. g. Frieslandsgänger, in: Vaterländische Blätter 4 (1846), Sp. 100. 5 Ebd., Sp. 86; Der Hinweis, die ersten beiden Boten aus der Familie Eckensträter wären längere Zeit als Ziegelmeister in Herrenhausen bei Hannover tätig gewesen, konnte nicht verifiziert werden. 6 StA DT L 37 X Nr. 4c Bl. 13. 7 Ausführlich zum Streit zwischen Eckensträter und Schluer s. Falkmann 1846, Sp. 85-87 u. Sp. 95-100. 9 Ebd. Bl. 48-49; s.a. Falkmann 1846, Sp. 98. 10 StA DT L 37 X Nr. 4c Bl. 115. 12 Landes-Verordnungen der Grafschaft Lippe, Bd. 2, Lemgo 1781, S. 658; s. a. Falkmann 1846, Sp. 103. 16 Landes-Verordnungen des Fürstenthums Lippe, Bd. 5, Lemgo 1810, S. 100. 17 Falkmann 1846, Sp. 339-340.
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