Die Kohlstädter Hausinschriften
Von A. Hettling, Lemgo
Wer mit der Straßenbahn von Detmold nach Paderborn fährt, hat unterwegs nach beiden Seiten so viele prächtige Aus - und Anblicke, dass er reichlich „auf seine Kosten kommt.“ Den Mittel- und Höhepunkt bildet die herrliche Fahrt durch den Horner Stadtwald von den Externsteinen über die kleine Egge bis Kohlstädt. Über die Externsteine und die Waldfahrt bedarf es keines Wortes. Aber nicht nur diese beiden fesseln, sondern auch Kohlstädt. Eingekeilt zwischen steil aufsteigenden, von Wäldern, Wiesen, Gärten und Feldern bedeckten Bergen ziehen sich in engen, von der munteren Strohte eiligst durchlaufenden Tale gut eine halbe Wegstunde lang auf beiden Seiten der Landstraße die Kohlstädter Häuser dahin, oft an der Vorderseite hart an die Straße stoßend, mit der Rückseite in den Berg hineinragend - ein überaus malerisches Bild.
Als erstes Haus grüßt, noch im romantischen Bärental gelegen, das schmucke Hotel gleichen Namens, ein Stück dahinter folgt die neue Pension „Haus Sommerberg“ (Bes. W. Wulfkuhle) und der obere Teil von Kohlstädt, der baulich durch den großen Häuserkomplex der „Arminiusbrauerei“ (Bes. Hanning) und der Metall- und Feindrahtwerke (Direktor Stöding) beherrscht und zur Rechten und Linken zum Teil durch schroffe, für den ganzen Ort charakteristische Kalksteinwände eingerahmt wird. Im unteren Teil ragen die weithin bekannten, vorzügliches Baumaterial liefernden „Kohlstädter Kalkwerke“ (Bes. Ferd. Bobenhausen in Lemgo) hervor, daneben der Gasthof von Aug. Begemann mit seinen schönen Bergterrassen, noch weiter herunter der Gasthof von Fr. Schiffmann, der ebenso wie der Begemannsche auch ein gutes Pensionshaus für Fremde ist, und dahinter das mit seinen Gebäuden einen hochinteressanten Anblick bietende Kalkwerk von Gebr. Geise.
Was aber dem ganzen Ort ein so besonderes anheimelndes Gepräge gibt, das sind die alten Fachwerkhäuser mit ihren prächtigen Torbogen und den darauf zum Teil angebrachten Hausinschriften. Wie malerisch diese alten Häuser wirken, auch wo sie keine Inschriften tragen, zeigt eine Häuserreihe im unteren Teile von Kohlstädt, doch wird natürlich die Wirkung noch bedeutlich erhöht, wo Inschriften hinzukommen. Wer einmal in Oberkohlstädt aus der Straßenbahn aussteigt und rechts an der alten Linde vorbei den Weg einschlägt, der in ¾ Stunde nach dem einsam, aber wunderschön gelegenen, für Sommerfremde zu ruhigem Erholungsaufenthalt sehr zu empfehlenden Forsthaus Nassesand führt, der bleibt unwillkürlich gleich vor dem 100jährigen Hause zur Linken stehen und studiert die über seinem Torbogen prangende Hausinschrift. Wie aber erstaunt er, wenn er einmal von derselben Stelle aus die ganze Ortschaft entlang geht! Er sieht, wie jenes Haus nur eins von vielen ist, dass im Verhältnis zur Größe des Ortes im ganzen Lipperlande wohl keine Stadt und kein Dorf in der Beziehung sich mit Kohlstädt messen kann, ist es schätzungsweise doch mindestens der vierte Teil aller Wohnhäuser, der den Schmuck solcher Hausinschriften trägt. Bestände dasselbe Verhältnis z. B. in dem an solchen Häusern und Inschriften auch nicht armen Lemgo, so würde ein Besucher dieser Stadt beim Durchwandern der Straßen aus dem Staunen gar nicht herauskommen.
Es sind im ganzen 35 Häuser, die in Kohlstädt Hausinschriften tragen. Die Mehrzahl dieser Häuser hat aber außerdem unter dem Querbalken mit jenen Inschriften und auf den beiden Pfosten rechts und links des Haustores noch reiches Schnitzwerk, wodurch die Gesamtwirkung des Tores außerordentlich erhöht wird. Die Schnitzwerke, die fast durchweg unter den Inschriften zu beiden Seiten wiederkehren, sind Stern und Rose. Auf den beiden Pfosten sind öfter stilisierte Weinranken, doch auch andere kunstvolle Muster angebracht. An manchen Häusern hat sich der Meister mit einer rings um die Toröffnung laufenden, unten in je einem Schlangenkopf endigenden Linie begnügt, die bei aller Einfachheit vorzüglich wirkt.
Mit welcher Sorgfalt und Liebe die alten Meister gearbeitet haben, das muß man immer wieder bewundern, sowohl an den Inschriften wie auch an dem übrigen Schnitzwerk. Es würde eine interessante Studie für sich ausmachen, diese alten Meister und ihre Arbeiten an dem vorhandenen Material einmal zu würdigen. Ihre Namen sind an der Mehrzahl der von ihnen errichteten Häuser erhalten, teils nur mit den Anfangsbuchstaben, teils vollständig. Abgesehen von 2 Meistern, deren Namen auf Stein vorkommen (Meister M., 1822 und Meister H. B.,1877) lassen sich 8 Meister an 17 Häusern feststellen, nämlich:
1. Meister C. D., 1726
2. Meister Cornelius, 1777
3. Meister J. E. Toelle, 1783, 1796, 1799, 1800
4. Meister Starke, 1803, 1817, 1818
5. Meister Jasper, 1811, 1826, 1829, 1830, 1833
6. Meister H. B. K., 1830
7. Meister Konrad Kemper, 1836
8. Meister Nolte 1846
Bemerkt sei noch, dass der Name des Meisters Tölle außerdem an einem Hause steht, dessen Hausinschriftbalken früher entfernt ist, ferner an einem Hause stand, das kürzlich abgebrannt ist, und dass der Name des Meisters Starke vielleicht an einem Hause sich noch nachweisen lässt, dessen ganze Inschrift im Laufe der Zeit sehr unleserlich geworden ist. Auch lässt sich unschwer erkennen, dass die nachgewiesenen Meister wenn wohl nicht alle so doch sicher manche auch der übrigen keinen ihrer Namen tragenden alten Häuser errichtet haben.
Beachtenswert ist auch, dass nicht weniger als 29 Häuser nicht nur das Jahr der Erbauung, sondern auch den Tag der Haushebung namhaft machen. Dabei fällt auf, das 18, also fast 2/3 dieser Häuser, im Monat Mai „erhoben“ oder „gehoben“ sind, 3 im April, 4 im Juni und Juli und nur je 1 im August, September, Oktober und November. Dies erklärt sich daraus, dass die Meister im Herbst und Winter das ganze Balkengerüst des Hauses fertig stellten und dann bei Anbruch der besseren Jahreszeit, „im schönen Monat Mai“, an die Aufrichtung desselben gingen. Auch lassen die Inschriften auf einigen der letzten, erst in den späteren Monaten errichteten Häuser erkennen, dass ganz besondere Umstände, z. B. Brand des alten Hauses, die Ursache zu so später Haushebung gewesen sind.
Von großer Bedeutung für die Orts- und Familiengeschichte ist sodann der Umstand, dass an 31 Häusern die vollen Namen ihrer Erbauer angebracht sind, und zwar sowohl die des Erbauers als auch die seiner Ehefrau, zum Teil sogar bei manchen von auswärts Zugezogenen mit Angabe ihres Heimatortes. Damit ist ihnen ein Denkmal gesetzt dauerhafter als das, welches man ihnen später nach ihrem Tode auf dem Friedhof gab. Was aus einem Friedhof mit seinen Grabdenkmälern einmal „aus praktischen Gründen“ werden kann, davon legt leider auch der frühere herrliche Bergfriedhof von Kohlstädt jetzt ein überaus wehmütiges Zeugnis ab. Um so mehr ist es am Platze, die „Hausdenkmäler“ möglichst zu erhalten und zu pflegen. Auch sie sind ja vergänglich. Wie manches alte Haus in Kohlstädt mag - wie eine ganze Reihe der vorhandenen Inschriften ja selbst erkennen lässt – schon ein Opfer der Zeit geworden sein, und mit ihm auch die seine Erbauer nennenden Hausinschrift! Ja, es braucht nicht einmal ein Neubau zu sein, zuweilen genügt schon ein Umbau, um die Inschrift verschwinden zu lassen. Das sieht man an dem einen schon erwähnten, von Meister Tölle errichteten Hause. Die beiden Pfosten mit dem Namen des Meisters und schönem Schnitzwerk stehen noch in er Wand, doch der Querbalken mit der Hauptinschrift ist bei einem früheren Umbau entfernt und nun für immer verschwunden. Wie würde er, etwas höher angebracht, heute noch das ganze Haus zieren! Es ist darum höchst dankenswert, dass drei Hausbesitzer erklärten, bei dem in Aussicht stehenden Umbau ihrer Häuser die alten Inschriften auf jeden Fall erhalten zu wollen. Ganz besonders verdient hervorgehoben zu werden, dass von dem auch schon erwähnten, gleichfalls von Meister Tölle errichteten alten Hause, das in diesem Herbst ein Raub der Flammen wurde, der Inschriftbalken glücklicherweise gerettet ist. Sollte an der Stelle ein neues Haus gebaut werden, so findet er hoffentlich daran einen Platz, vielleicht in Verbindung mit einer neuen, auf den Brand bezugnehmenden Inschrift! - Für die Kohlstädter Häuser gewinnt die Erhaltung und Pflege der Hausinschriften dadurch erhöhte Bedeutung, dass - wie ein Vergleich der Namen der Erbauer mit denen der jetzigen Besitzer zeigt - fast die Hälfte heute noch von Nachkommen der einstigen Erbauer bewohnt wird. Das ist es ja gerade, was die alten Häuser so ehrwürdig macht, dass sie jahrhundertelang dieselbe Familie Geschlecht auf Geschlecht beherbergt haben. Unsere moderne Zeit hat dafür zum größten Teil allerdings das Verständnis verloren. Der Geschichts- und Familiensinn stirbt immer mehr aus. Das er in Kohlstädt noch eine Stätte hat, zeigte u. a. eine charakteristische Äußerung, indem ein Hausbesitzer beim Hinweis auf die Namen seines Vorfahren über dem Haustor sagte: „Ja, und der Nachkomme ist auch schon da!“ Recht so!
Ein Kapitel für sich bilden bei den Kohlstädter Hausinschriften endlich die Haussprüche, die außer dem Namen des Meisters, dem Jahr und Tag der Haushebung und den Namen der Erbauer an den Häusern angebracht sind. Im ganzen sind 27 Häuser mit solchen Sprüchen geschmückt, die meisten mit einem, manche aber auch mit mehreren, Wenn dabei einige Sprüche öfter wiederkehren, so wirkt das doch nicht langweilig, da dann meistens Abänderungen und Zusätze gemacht sind. Verwandt sind Bibelsprüche, Gesangsverse und andere sinnvolle Sprüche und Verse. Von den Bibelsprüchen sind aus dem Alten Testament genommen: Psalm 25, V. 1, 2 und 16; Psalm 118, V.25; Psalm 121, V. 8; Sprüche 10, V. 22; aus dem Neuen Testament: Lukas 24, V. 29; Johannes 9, V. 4; Johannes 10, V. 12; Epheser 5, V. 1 und 16. Unter den Gesangsversen findet sich auch anderswo häufig vorkommende Liedanfang: „Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut im Himmel und auf Erden“, ferner die ganze erste Strophe aus dem bekannten Gesange: „ Wer nur den lieben Gott lässt walten“, und schließlich die sonst wohl selten als Hausspruch gebrauchte herrliche erste Strophe des Adventsliedes: „Gott sei Dank in aller Welt, der sein Wort beständig hält, und der Sünder Trost und Rat zu uns hergesendet hat.“ Die übrigen Verse und Sprüche, unter denen einer oder zwei vielleicht auch noch als Gesangsverse anzusprechen sind, nehmen sinnvoll auf die Erbauung des Hauses und das Leben und Verhalten der Bewohner Bezug. Darunter sind öfter solche, die zeigen, dass den Vorfahren der Hausbau nicht immer leicht geworden ist, und andere, die kundtun, dass wie ein frommer, so auch ein fleißiger, genügsamer, biederer und zufriedener Sinn sie beseelt hat.
Was nun in Bezug auf die Kohlstädter Hausinschriften neben ihrer Erhaltung vor allem zu wünschen wäre, das ist ihre Bemalung. Nur bei 6 Häusern ist dies bis jetzt geschehen, bei allen übrigen noch nicht. Solange dies aber nicht geschieht, verlieren die Inschriften ihren Zweck. Sie sind doch dazu angebracht, dass sie gelesen werden. Dies ist aber ohne ihre Bemalung bei den meisten nur mit größter Mühe, bei manchen kaum noch möglich. Und wie gewinnt das ganze Haus durch diese Bemalung seiner Torbalken mit ihren Inschriften und seiner Torpfosten mit ihrem Schnitzwerk! Sie sind ja der schönste Schmuck des Hauses. Die Bemalung verursacht auch gar keine zu großen Kosten, und wo es einem Hausbesitzer zu schwer werden sollte, sie allein aufzubringen, da greifen gewiß öffentliche Stellen und auch interessierte Private ein und helfen durch Beiträge das gute Werk vollbringen. Nur müsste unter allen Umständen darauf Bedacht genommen werden, dass tüchtige Maler unter der Beratung sachverständiger Altertumsfreunde die Sache ausführen, damit im einzelnen sowohl wie im ganzen eine sachgemäße, einwandfreie, gute Wirkung erzielt wird. Interesse ist glücklicherweise für das gute Werk schon vorhanden. Ist es erst einmal in Angriff genommen und dann nach und nach bis zum letzten Hause durchgeführt, dann wird dadurch der ganze schöne Ort auf jeden Fall ein noch viel schöneres Aussehen erhalten haben, zur ständigen Freude seiner Bewohner und aller Fremden, die ihn durchwandern. Und nicht nur das Auge wird befriedigt sein, sondern auch Herz und Gemüt werden heilsam beeinflusst werden, indem sie von den Zeugen der Vergangenheit Mahnung, Warnung und Leitung, Stärkung, Tröstung und Erhebung mit hinein nehmen in das hastende und lastende Leben der Gegenwart.
Bei der folgenden Zusammenstellung sind die Häuser nach dem Jahr ihrer Erbauung geordnet. Dabei sind auch die Häuser nicht übergangen, die als Inschrift nur dies Jahr haben, denn auch das ist bedeutungs- und wirkungsvoll. Die Inschriften selbst sind bis auf eine, die in gothischer Schrift gehalten ist, alle in großen lateinischen Buchstaben, in denen sie auch auf den Balken stehen, gedruckt worden. Nur sind aus praktischen Gründen im Druck nicht die Balkenzeilen, sondern die Sinnzeilen wiedergegeben. Die jetzigen Hausnummern und die Namen der gegenwärtigen Hausbesitzer sind jedes Mal vorangestellt, etwa notwendige Bemerkungen hie und da hinzugefügt. Sollte irgend etwas falsch angegeben oder vergessen sein, so ist die Redaktion der Landeszeitung in Detmold gern bereit, Berichtigungen oder Ergänzungen entgegenzunehmen und in den Vaterländischen Blättern zu veröffentlichen.
Abschrift aus: Vaterländische Blätter Nr.8 und 9 vom 02. und 29. Juni 1928
Abgeschrieben von: Wolfgang Bechtel
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