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 Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.


Das Rathaus zu Schwalenberg vor dem Anbau

Von Dr. Karl Lohmeyer

Die Entstehung des Rathauses fällt in die zweite Hälfte des 16.Jahrhunderts, als das Städtchen von den Wirren der Reformation und den Heimsuchungen des Schmalkaldischen Krieges sich erholt hatte und unter der klugen und geschickten Leitung der Herren von Mengersen, die Anfangs als Pfandinhaber des Landes, dann als Drosten, d. h. vom Grafen eingesetzte Beamte, Schwalenberg verwalteten, zu Wohlstand und Blüte gekommen war. Die Zeit von 1570 bis 1610 gehört zu den glücklichsten der Geschichte Schwalenbergs; davon geben noch heute die zahlreichen stattlichen Fachwerkgebäude jener Zeit mit reichem Schmuck an Inschriften und Verzierung deutlichen Beweis. Mit Freuden ist es zu begrüßen, dass man in den Kreisen der Bürgerschaft diese Zeugen einer ehrwürdigen Vergangenheit nicht mehr verächtlich ansieht und gering schätzt, sondern die alten Häuser mit ihrem Schmuck zu erhalten und durch passende Bemalung in ihre früheren Schönheit wiederherzustellen sucht. Die Inschriften einiger Häuser, die dem Rathaus zeitlich und auch in bezug auf die Schmuckformen nahe stehen seien hier aufgeführt:

Nr. 12 Der schön geschnitzte Giebel des 1895 durch einen Neubau ersetzten Hauses befindet sich jetzt im Museum zu Detmold:

HERMANN . POEL . HFTT . MI . LATEN . BVEN . ANNO . 1584 .

Nr. 22

GOTS . WORT . DE . HOGSTE . WISHEIT . IS .
WER . DEM . GEHORCHT . ZV . ALLER . FRIST .
DER . IST . EIN . FROM . VND . HILLICH . MAN .
EIN . VNGLVCK . IHM . NICHT . SCHADEN . KANN .
GERT . REMENSNIDER . MARIA . WESTFELEN .
ME . FIERI . FECERVNT . ANNO . 1592

Nr. 25 (jetzt Brettmeier)

SCHREGER BADEN . ANNA MOLLER
ANNO . DOMINI 1595

Nr. 91 b (erbaut vom Drost Falk Arend von Oeynhausen, dann im Besitz der Familie von Berninghausen und hiernach Fürstliches Amtshaus bis zur Erbauung des neuen Amtsgerichtsgebäudes):

WER . GODT . VORTVWET .
DE . HET . WOL . GEBVWET .
ANNO 1595
FVRCHT . GOT . VND . EHR . DIE . ELTERN . DEIN .
DEMVT . LAS . DIR . GEFELIG . SEIN .
SEI . FLEISIG . BLEIB . IN . NIDIGN . STAND .
SO . WIRD . DICH . SEGNEN . GOTS . HANDT .

Nr. 75 (altes Gerichtsgebäude):

SOLI . DEO . GLORIA .
DOMINVS . CVSTODIAT . INTROITVM . ET .
EXITVM . NOSTRVM . EX . HOC . NVNC . ET
VSQVE . IN . SAECVLVM .
ANNO . SALVTIS . MDC IV
IACOBVS SCHONHEIM . CATHARINA EGGERDING

Nr. 24

HANS . NACKEN . 15..

Nr. 108 (Scheune, vor kurzem abgerissen).

ENRICVS VON MENGERSEN VND ANNA SNIDEWINDT
ME FIERI FECERVNT . A . 1606

Nr. 7 Ältestes Wirtshaus Schwalenbergs, „Zur Rose“ genannt; Krug und Glas sind mit den Anfangsbuchstaben der Erbauer auf den Seitenbalken eingehauen):

DER . HERRE . BEWAHRE . DEINEN . EINGANGK
VND . AVSGANGK .
VON . NVN . AN . BIS . IN . EWIGKEIT .
LOB . GOTT . ALTZEITT .
JOHAN HAGEMEISTER V ILSABE ALEMEIER
ANNO DNI 1611 M . F . F .

Viele Gebäude dieser Zeit sind schon abgerissen oder aufgebrannt, an anderen sind Inschriften und Jahreszahlen verwittert oder verbaut, aber schon diese Reste geben einen Begriff von der regen Bautätigkeit und dem wohl entwickelten Geschmack in den letzten 50 Jahren vor dem dreißigjährigen Kriege, der den Wohlstand Schwalenbergs auf lange Zeit vernichtete.
Das bedeutendste Denkmal jener Zeit ist natürlich das Rathaus, das jetzt, mit seinem Verständnis in den alten Formen wiederhergestellt und geschmackvoll ausgemalt, zu den wertvollsten Sehenswürdigkeiten des lippischen Landes gehört. Eine ausführliche Beschreibung des interessanten Baues findet sich in dem 1905 erschienenen Werke v. Paul Lehmgrübner, „Mittelalterliche Rathausbauten in Deutschland mit einem Überblick über Entwicklung des deutschen Städtewesens“. Erster Teil: Fachwerksrathäuser. Mit 34 Tafeln und zahlreichen Textabbildungen. Berlin, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn 1905, dem manche Angaben hier entnommen sind.
Das Rathaus in seiner jetzigen Gestalt gehört vier verschiedenen Bauperioden an.
Der Hauptbau stammt nach der Jahreszahl aus dem Jahr 1579, als Tile von Mengersen Amtmann in Schwalenberg war. Ob dieser Bau mit der im selben Jahre erfolgten Volljährigkeitserklärung des Grafen Simon VI., der damals nach langer Vormundschaft die Regierung seines Landes selbständig übernahm, zusammenhängt, mag dahingestellt sein. Der ursprüngliche Bau war von einfach rechteckiger Grundform, zweigeschossig und mit seinem breit gelagerten Giebel der Straße zugewandt. Er enthielt im Erdgeschoß hinter einer mit drei Bogenstellungen geöffneten Laube eine einzige große Verkaufshalle für den Marktverkehr. Das obere Stockwerk bildete gleichfalls einen einzigen großen Raum, den für alle öffentlichen Angelegenheiten dienende Bürger- oder Gemeindesaal, über den sich der hohe Boden erhebt.
Die Schmuckformen dieses ältesten Baues weisen in die Übergangszeit zur Renaissanceperiode. Die reich geschmückten drei Brüstungen über den Laubenbögen und im Dachgeschosse geben der Front ihr charakteristisches Gepräge. Die beiden oberen Brüstungen sind mit Fächerrosetten geziert, die in bunter Mannigfaltigkeit, nach Größe und Stellung verschieden, in breiten Bändern über das Haus sich hinziehen. Zwischen den eingekerbten Balkenköpfen liegen Füllhölzer von abgerundetem Querschnitt, in ihrer ganzen Fläche mit manigfaltig wechselnden, flechtband- oder tonartig, rhombisch oder ährenförmig gegliederten Mustern verziert, die vielfach von Perlschnüren wirkungsvoll belebt werden. Auf den Schwellen sind die gleich zu erwähnenden Inschriften eingehauen.
Den reichsten Schmuck weist die Brüstung des Hauptgeschosses auf. Im mittelsten Brüstungsfelde sehen wir drei rankengezierte Wappenschilder, deren mittelstes Rose, Kreuz und Stern, durch ein Band verbunden, zeigt, während im linken Schilde, z. T. auf den Nebenbalken übergreifend, das Wort ANNO, im rechten die Jahreszahl 1579 steht. Das Wappen gehört dem Grafen Philipp zur Lippe, Spiegelberg und Pyrmont, der als Sohn des Grafen Hermann zur Lippe und der Gräfin Ursula von Spiegelberg und Pyrmont außer dem Besitz seiner Mutter auch die Grafschaften Sternberg, Stoppelberg und Schwalenberg geerbt hatte. Auf dem Felde rechts davon sind in kräftigem Relief ein Löwe mit Krone und ein Leopard (?) dargestellt, die gegen einen zwischen ihnen stehenden Baum die Pranken erheben. Die Deutung ist schwierig. Man hat daran gedacht, dass für den minderjährigen Simon VI. von Lippe damals Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel und Landgraf Wilhelm der Weise von Hessen die Vormundschaft führten und dass die Wappen dieser beiden Fürsten, der hessische Löwe und der braunschweigische Leopard, dargestellt seien. Vielleicht hatte auch die Stadt Schwalenberg zu ihrem Sterne Wappentiere, wie ja nach der Pideritschen Chronik (S. 500) die alte Stadt Lemgo „von altersher umb die Rose einen Löwen unnd Vogel Greiff führete“. Das spitzmäulige Tier mit langen Krallen könnte auch ein Greif sein.
Auf dem linken Felde der Brüstung steht die Gerechtigkeit mit Schwert und Wage, worüber die Inschrift: „Justitia digerit omnia“ (Die Gerechtigkeit ordnet alles), ein Hinweis darauf, dass in dem Rathause auch Recht gesprochen wurde. Auch die bogenförmigen Öffnungen der Laube und ihr Gebälk sind mit Rosetten und Linienornamenten geschmückt; die ährenförmige Umrandung der Bogenbalken findet man nicht selten an alten Hoftoren hiesiger Gegend.
Drei durchgehende Schwellbalken des Hauses sind mit Sprüchen versehen, die in der ergänzten Form folgendermaßen lauten:
Balken über den Fenstern:

MINSCHE . GEDENKE . WAT . DV . BETENGEST . DEN . LIECK . VND . RECHT . WARET . LENGST . WERSTV . AS . SCHELM . VND . SCHENNER . VNRECHT . HANDELN . SO . MOSTV . THOM . LESTEN . IN . DE . HELLE . WANDREN .

Balken unter den Fenstern:

VOL . THO . SIN . EGEN . VORDEL . RAIDT . IN . HAS . BIALLEN . KOMT . VND . TREIBT . VERSTORETHAIT .

Auf dem mächtigen Balken unter dem wappengezierten Brüstungsfelde stehen die Worte:

Wen godt mit uns woll kan den wedder uns.
paulus romanos am 8 cap,

die merkwürdigerweise nicht in römischen Lapidarbuchstaben wie die oberen Inschriften, sondern in stilgerechter gotischer Minuskel gehalten sind. Man ist versucht, anzunehmen, dass dieser Balken schon einem älteren Bau angehört habe.
Schon nach kurzer Zeit machte sich das Bedürfnis nach einem Anbau geltend, der im Oberstock neben der großen Halle einen kleinen heizbaren Verwaltungsraum enthalten sollte. Das Bauwerk wurde daher im Jahre 1603 zur linken Seite des Straßengiebels durch einen Anbau erweitert, der sich unten mit einer vierten Bogenstellung an die bisherigen Arkaden der Laube anschloß, und im Obergeschoß ein Zimmer für den Bürgermeister und die Stadtvertretung enthielt. Mit dem im Jahre 1603 erfolgten Tode des damaligen Drosten Falk Arnd von Oeynhausen und dem Amtsantritt eines neuen Drosten ist der Erweiterungsbau wohl kaum in Zusammenhang zu setzen. Ganz auffallend ist der Unterschied zwischen dem Bau von 1579 und dem von 1603. Inzwischen ist die Renaissance im Gebiete der niedersächsischen Holzarchitektur zur unbedingten Herrschaft gekommen. Das alte Ornament der Rosetten und Füllungen ist verschwunden, Eierstab und kräftiger Zahnschnitt sind an die Stelle getreten.
Rankenwerk, z. T. zu phantastischen Figuren ausgearbeitet und in Köpfe endigend, füllt die Brüstungen und Pfosten, deren stützende Bestimmung dadurch betont ist, dass sie zu Säulen und Pilastern ausgehauen sind. Der Renaissancecharakter dieses Baues von 1603 würde völlig rein sein, wenn nicht am Südgiebel neben den vorderen neuen Teilen die des alten Baues v. 1579 wieder sichtbar würden.
Inschriften enthält dieser Bau nicht außer der Jahreszahl ANNO 1603, die am unteren Teil des die Fenster trennenden Mittelpfostens unter einer am Kreuz erhöhten Schlange eingehauen ist. Den Giebel ziert auch an diesem Bau die lippische Rose, während rechts in der Brüstung des Dachgeschosses, eingeschlossen durch zwei auf dem Rücken liegende und durch ein um die Schwänze gelegtes Band verbundene delphinartige Figuren, Rose und Stern sich zeigen. Das Pyrmonter Kreuz fehlt, denn Schwalenberg war an die Hauptlinie des lippischen Geschlechts zurückgefallen, nachdem der vorgenannte Graf Philipp 1583 kinderlos gestorben war.
Die weiteren Umbauten beziehen sich auf das Innere des Hauses. Als die große Kaufhalle nicht mehr nötig war, baute man sie zum ländlichen Wirtschaftshause um, in dem der Sitte gemäß neben der breiten Dele das Vieh seinen Platz fand. Bei der Gelegenheit wurde hinter die Bögen an der Straße eine Abschlusswand gesetzt. Auch der obere Saal wurde zugunsten des Magistratszimmers, das bisher nur den Anbau ausgefüllt hatte, verkleinert. Im vorigen Jahrhundert endlich ist der rückwärtige Teil des Hauses abgerissen und durch einen großen Steinbau ersetzt, der die Wohnung des Ratswirtes enthält.
Das Rathaus zu Schwalenberg, so sagt Lehmgrübner, ist in seinen architektonischen Einzelheiten ein vortreffliches Beispiel für die Entwicklung des Fachwerkbaues im südwestlichen Teile des niedersächsischen Gebietes am Ausgange des sechzehnten Jahrhunderts. Es trägt die Vorzüge und Schwächen, welche dem damaligen Standpunkten der Holzbaukunst eigen sind, deutlich zur Schau. Die Freude an ornamentalem und bildnerischem Schmucke zeigt sich an der überaus großen Mannigfaltigkeit der stets wechselnden Zierformen, von denen die ganzen Flächen des Gebäudes bedeckt sind. Aber bei dem üppig gesteigerten Reichtum der Formen fehlt die tiefe und ernste Durchbildung der einzelnen architektonischen Teile, und die Schmuckformen entbehren der stärkeren, plastischen Modellierung. Der größte Formenreichtum ist an den unteren, dem Auge des Beschauers näher liegenden Geschossen aufgewendet, während der große Giebel eine nach oben hin zunehmende Schlichtheit des Fachwerks zeigt, die unverkennbar mit voller Absicht durchgeführt ist. Die beiden Bauteile, aus denen sich die Hauptschauseite des Gebäudes zusammensetzt, vereinigen sich trotz der Verschiedenheit ihrer Einzelheiten zu einer völlig einheitlichen Gesamterscheinung, welche durch die unteren Bogenöffnungen, den reizvollen Schmuck der Wandflächen und die malerischen Giebelungen von höchst anziehender Wirkung ist.

Aus : Vaterländische Blätter Nr.17, den 26.07.1924
Abgeschrieben: Wolfgang Bechtel, Oktober 2010

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