Rose

 Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Rose

Vaterländische Blätter

Lippisches Magazin Nr. 11 15.Dezember 1932

Von alten Hausinschriften

Abschrift: Wolfgang Frehde

Im Raum der Weserrenaissance, die das alte Engern und Ostfalen bis zu den Randgebieten des Harzes umfasst, ist schon früh - etwa seit der Wende des Mittelalters - eine schöne Volkskunst heimisch geworden, die in den östlichen Siedlungsgebieten verhältnismäßig schwach in Erscheinung tritt, in der gemeingermanischen norddeutschen Heimat aber sehr stark gepflegt wurde. Es ist die alte Sitte des Hausschmucks. Überall in Niedersachsen, wo der Holzfachwerkbau heimisch war, bekundete sich die angeborene Liebe und der ererbte Stolz für Haus und Hof durch kürzere oder längere Inschriften an augenfälliger Stelle, die zum mindesten die Zeit des Baues, die Namen der Erbauer, vielfach auch einen Spruch religiösern oder profanen Inhalts enthielten. Als ein wertvolles Vermächtnis unserer. Vorfahren haben wir die Hausinschriften besonders lieb gewonnen, als unschätzbares Volksgut und einen blühenden Zweig der Volkspoesie möchten wir sie heute nicht mehr missen. Denn sie berichten uns von dem Geiste, von den Gedanken und von dem Geschehen verklungener Tage. Die alten Patrizier, die in den Städten an den stolzen Renaissancebauten auf reichverziertem Schwellbalken ihre Spruchweisheit einmeißeln ließen, sind nicht mehr, aber wir spüren noch den Herzschlag ihrer Zeit, wenn wir zu den Sprüchen aufblicken, die über Krieg und Frieden und Feuersbrunst sich bis in unsere Tage erhalten haben. In ihrer oft derben mittelniederdeutschen Sprache offenbarten sie uns echt niedersächsische Denk- und Sinnesart, in ihren frommen Bibelsprüchen ein Zeitalter voll gläubigen Vertrauens auf Gott.

Ist mehr als der Name des Erbauers oder die Jahreszahl in das Eichengebälk eingeschnitzt, so liegt der literarische Wert der Hausinschrift im Epigrammatischen. Dabei bietet der deutsche Sprachschatz recht mannigfache Anregung. Selbstverständlich sind zeitlich wie örtlich und individuell zum Teil starke Differenzierungen zu beobachten. Es gibt besonders originelle Inschriften, die eine gewisse geistige Beweglichkeit des Erbauers zeigen, und wiederum andere, die auf den Pfarrer oder Lehrer zurückführen oder dem Freund in der Nebengasse „abgeguckt“ sind. Auch kann man im Orte viel vorkommende Lieblingsverse und eine zeitliche Abwandlung vom religiösen Spruch zum nichtssagenden Stammbuchreim beobachten. Im allgemeinen stammen die literarisch minderwertigen Inschriften meist aus der späteren Zeit, da die Lust an Einfällen mit der zunehmenden Nervosität im 19. Jahrhundert merklich erlahmt. Volkskunst setzt eben bäuerliche Muße im Leben voraus, städtische Hast ist ihr Todfeind.

Bisher ist das Volksepigramm - etwa als Gegenstück zum Volkslied oder zu den volkstümlichen Redensarten - stiefmütterlich behandelt worden. Und doch zeigt sich bei ihm gerade mehr als anderswo der Sinn des Volkes für kurze, aber prägnante Formulierungen. Derbheit der Gesinnung liegt da dicht bei tiefreligiösem Gefühl, große Spottlust bei ernster Lebensbetrachtung. Im Gegensatz zu überlieferten Sprüchen aus Oberdeutschland, die eine gewisse Ungeschlachtheit in Inhalt und Redewendung zum Ausdruck bringen, zeigen die niedersächsischen Hausinschriften eine echt niederdeutsche Eigenschaft: Man hält sich den Nachbarn vom Leibe, verwahrt sich gegen sein Urteil, weil man ganz auf sich selbst steht. Oder man wird Pessimist, wie ein L e m g o e r Bürger, der als Resultat seiner Lebenserfahrung folgenden Spruch in das Gebälk schnitzen Ließ:

Dit is der Werlt Stat,
Ich do di gut, du doest mi quaet,
Ich heve di up, du werpest mi neder,
Ich ehre di, du schendest mi weder.

Besonders stark kommt die tiefe, selbstverständliche, alles andere als posenhafte Frömmigkeit zum Ausdruck. Dabei meidet der Niedersachse bewußt eine anmaßende Originalität: die braucht er nicht zu beweisen! Der Rheinländer zeigt in seinen Hausinschriften gern seine Spottsucht, der Schwabe seine trockene Ursprünglichkeit; der Niedersachse steht eigenwillig zur Tradition, und das mit Stolz (Arlt).

Die älteste, mir bekannte Hausinschrift befindet sich an der Westfront der ehemaligen Klosterkirche zu C o r v e y , vordem wohl über dem Eingang zu dem Klostergebäude angebracht. Sie ist um die Mitte des 9. Jahrhunderts auf einer Steinplatte in 11 Zentimeter hohen Antiquabuchstaben von vollkommener Reinheit eingegraben und lautet in deutscher Uebersetzung: Diese deine Gemeinde umgib du, o Herr, mit deinem Schutz und deine Engel mögen ihre Mauern beschirmen!

Die eigentlichen Hausinschriften treten zumeist erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts auf. Eine der ältesten datierten Inschriften in Holz befindet sich auf einem geschnitzten Torbogen eines Hauses im Corveyischen Dorfe B ö d e x e n vom 26. Juli 1505 und lautet:

Wol Godt vortrowet. Der hat wol gebowet.

Dieses gläubige Gottvertrauen, das den Grundton der meisten Hausinschriften bildet, kehrt in diesem Spruche mehr oder weniger abgewandelt in fast allen Städten und Dörfern Niedersachsens wieder. So ließ Anno 1592 Gert Remensnider an seinem Hause in S c h w a l e n b e r g folgenden Spruch einschnitzen:

GOTS. WORT. DE. HOGSTE. WISHEIT.IS.
WER. DEM. GEHORCHT. ZV. ALLER. FRIST.
DER. IST. EIN. FROM. VND. HILLIGH. MANN.
EIN. VNGLVCK. IHM. ICHT. SCHADEN. KANN.

Kerniger kann man das Gottvertrauen wohl kaum ausdrücken, als es in dem von der Kampfstimmung des 16. Jahrhunderts erfüllen niederdeutschen Spruch an dem Hause des Corveyer Hofs in H ö x t e r geschieht:

Wer gott von hartzen vertrauwen kan.
Der bleibt ein vnverdarbter man.
es zurne teuvel oder weldt
den sig er doch zuletz behelt.

Das gläubige Vertrauen unserer Altvordern stellt Haus und Leben in Gottes Hand, wie wir es an zahlreichen Beispielen in Niedersachsen finden. So in A l m e n a :

Der Segen Gottes hat gemacht,
Das dieser Bau zum Stand gebracht,
Darum so laß mich Herr zu deinem Ruhm
Hier wohnen als dein Eigentum.

In L o c k h a u s e n und E l b r i n x e n :

O Gott durch deine starke Hand
Behüte dies Haus vor Krieg und Brand.
Gott gebe Glück und Himmelskronen
Allen, die dies Haus bewohnen.

Sehr oft finden sich Sprüche von Neid und Missgunst, die auf ein wenig erfreuliches nachbarliches Verhältnis schließen lassen. Aber die Neider vermögen nichts, da Gott gibt, wann und wem er will. Das drückt eine Inschrift, die uns in Lippe sehr häufig begegnet, folgendermaßen aus:

Ach Gott wie gehet es immer zu,
Daß die mich hassen, denen ich nichts tu,
Die mir nichts gönnen und nichts geben,
Die müssen doch leiden, dass ich lebe.
Abgunst der Leute kann mir nichts schaden,
Was Gott will, das muß geraten.

Aber auch Weltweisheit in anderer Form leuchtet von vielen reichgeschnitzten Schwellbalken der alten Fachwerkhäuser. So hat ein H i l d e s h e i m e r Zimmermann im Jahre 1945 folgende Verse, die auch heute noch gelten können, in das Eicheholz geschnitzt:

Hedden wy alle eynen gelowen,
Godt un gemen nut vor ogen,
enne elen un recht gewicht,
guden frede un recht gericht,
en munte un gudt geldt,
so stunde idt wol in aller weldt

Der künstlerische Charakter einer Inschrift liegt zunächst in der Belebung der Fläche durch die Schriftzeichen selbst, eine Kunst, die lange brach lag und erst heute wieder geübt wird. Besonders schöne Wirkungen erzielt die monumentale Antiqua. Diese Schriftart findet sich an den Häusern alle Jahrhunderte hindurch, ihre Ausführung bleibt meist gleich, da man gern nach vorhandenen Vorbildern arbeitete. Gewiß spielt auch der Geschmack, die Kunstfertigkeit des Meisters und der Zeitstil eine Rolle. In der Herausarbeitung, Gestaltung und Aufteilung der Schriftzeichen zeigt der ländliche Handwerksmeister eine oft überraschende sichere Beherrschung der Technik und gutes Formgefühl. Später werden die Leistungen allerdings ungleichmäßig und lassen in der letzten Hälfte des 19. Jahrhundert ganz nach. -

Es ist eine beklagenswerte Erscheinung, daß die Hausinschriften als Merkmale einer alten bodenständigen Kultur um die Wende des 19. Jahrhunderts fast vollständig verschwanden und man erst heute, wenn auch nur zögernd, erfreulicherweise damit beginnt, an größeren Bauten in ähnlicher Weise Sinn und Zweck der Errichtung in Bild und Wort festzuhalten. Das platte Land, auf dem bei Bauten noch am meisten mit Holz gearbeitet wird, hätte wohl den meisten Anlaß, die Sitte der Hausinschriften wieder aufleben zu lassen, da ja hier noch der Zimmermann beim Bau ein gewichtiges Wort mitspricht. „Zimmerleute aber“, so heißt es in Karl Heinrich Wagners Roman Schweres Blut, „sind nicht wie andere Leute, sie haben ihre eigene, bedächtige Art, und das kommt daher, daß ihr Handwerk so alt und so ehrwürdig ist. Ein Zimmermann war der erste, der ein paar Stämme als Dach über seinem Fellbett zusammenfügte, und noch heute schlägt er mit dem Beil sein heidnisches Zeichen in den Firstbaum jedes Hauses, das er baut, ein glückbringendes Blitze bannendes Zeichen. Seine Arbeit hat ihren ruhigen, gemessenen Gang. Sie althergebracht und fest geordnet mit Namen und Bräuchen, und er führt auch sein Werk immer bei sich in der großen, geflochtenen Tasche als ein freier Mann seiner Kunst, das breite und das schmale Beil, Stemmeisen und Winkel, Wasserwaage und Farbzeug.“ -

 

zurück