Foto: © Heinz Bornemeier 2011
Eine hebräische Hausinschrift in Großenmarpe
Ein seltenes Erinnerungsstück an frühere jüdische Einwohner in Lippe
Von Elfriede Drefenstedt
Vor einigen Jahren wurde durch Zufall eine hebräische Hausinschrift an der Giebelwand eines alten Fachwerkbaues in Großenmarpe entdeckt. Eine Seltenheit unter den lippischen Inschriften!
Als der jetzige Besitzer dieses Hauses das alte Gebäude, einen Dreiständer aus dem Jahre 1685, abbrechen ließ, wurden an einer Stelle, wo der Putz abgebröckelt war, unbekannte Schriftzeichen sichtbar. Bei vollkommener Freilegung des Balkens erwiesen sich diese Zeichen als hebräische Inschrift.*)
Es lag nahe, den Spuren dieser Inschrift einmal nachzugehen. Den besten Fachkenner dieses Gebietes fanden wir in Rabbiner Dr. Bernhard Brilling aus Münster, der den Text übersetzte und uns wertvolle Hinweise gab.
Dr. Brilling schreibt: „Der Text lautete in hebräisch (in deutscher Umschrift):
1. Reihe: Barúch attá b'woécha - uwa-rúch attá b'zethécha
2. Reihe: Jakob ben Aharon - schnath 571
Übersetzt lauten die Zeilen:
1. Reihe: Gesegnet seiest du bei deinem Eintritt - und gesegnet seiest du bei deinem Fortgehen.
2. Reihe: Jakob Sohn des Aharon - im Jahre 5571 nach der jüdischen Zeitrechnung.
Bei dem Text der ersten Reihe handelt es sich um die wörtliche Wiedergabe eines Bibelverses aus dem 5. Buch Moses, Kap. 28, Vers 6."
In der 2. Reihe erfahren wir den Namen des Besitzers, der mit seinem jüdischen Namen Jacob ben Aharon hieß. (In späteren deutschen Urkunden als Aron Jakob bezeichnet.)
Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit der Schöpfung der Welt. Danach entspricht die Jahreszahl 5571 unserem Jahr 1811.
Diese Jahreszahl war nun ein wesentlicher Anhaltspunkt für weitere Forschungen. In der Chronik von Großenmarpe, im Staatsarchiv Detmold und in den Grundbüchern des Amtsgerichts Blomberg fanden wir interessante Tatsachen aus der Geschichte des Hauses und der jüdischen Familie.
Um im folgenden die Zusammenhänge besser zu verstehen, müssen wir uns einen kurzen Überblick über die geschichtlichen Ereignisse der letzten Jahrhunderte, die insbesondere die Juden in unserem Raum betrafen, verschaffen.
Es ist bekannt, daß die Juden seit Jahrhunderten unter Verfolgungen zu leiden hatten. Trotzdem nahmen viele Fürsten sie in ihrem Lande auf, weil die Einkünfte der jüdischen Einwohner eine willkommene Abhilfe ihrer finanziellen Schwierigkeiten bedeuteten. Der Wunsch der Juden, hier seßhaft zu werden und gleich anderen Bürgern zu leben, stieß auf große Schwierigkeiten. Beispielsweise war es den Juden, die wegen ihrer Religion von den meisten Berufen ausgeschlossen waren, verboten, „Häuser zu erwerben, offene Läden zu halten, mit Waren zu handeln, welche die Krämer, Höker, Schmiede, Schlachter, Wandmacher und Amtsgenossen feilhielten." (Rülf, Die Geschichte der Juden in Lippe).
Später wurden zahlreiche Verordnungen und Gesetze erlassen, die den jüdischen Bewohnern ein geordneteres Dasein ermöglichten, ihnen andererseits aber auch Beschränkungen auferlegten.
Im „Verzeichniß der im Jahr 1792 copulirten und gebohrenen Juden" werden solche Verzeichnisse für die Zukunft angeordnet.
Im Erlaß der Fürstin Pauline vom 28, November 1809 heißt es u. a.: „In Erwägung, daß der Zeitgeist eine Annäherung der Verhältnisse der einländischen Juden zu Unsern übrigen Unterthanen erfordert, finden wir Uns bewogen, den Bevölkerungszustand derselben vermittelst einzuführender Geburts-, Trauungs- und Sterberegister in genauere politische Aufsicht zu setzen und sie zum Gebrauche der deutschen Sprache und zur Erlernung gemeinnütziger Gewerbe zu veranlassen. Wir verordnen demnach folgendes:
§ 1. Jeder Familienvater . . . und jeder andere einländische Jude oder Jüdin . . . sollen einen deutschen Familiennamen, welcher jedoch nicht von einländischen Städten, Flecken und Dörfern, noch von bekannten Familien entlehnt seyn darf, vor dem Ablaufe dieses Jahres wählen".
Der Trauschein sollte erst dann erteilt werden, wenn der Mann und die Frau Zeugnisse bringen könnten, daß sie „deutsches Lesen und Schreiben, wie auch das Rechnen gehörig erlernt haben."
Um einzelne Juden und Judenfamilien zu schützen, wurden Schutz- oder Geleitbriefe eingeführt, „die ihnen Leben und Beruf, Handel und Gewerbe, Wohnort und Wirkungskreis sicherten und wofür sie in der Regel eine mehr oder weniger hohe Abgabe zahlen mußten." (K. Wehrhan, Zur Geschichte der Juden in Lippe.) Beim Tode des betreffenden Schutzjüden verfielen meistens alle verbrieften Rechte. Um 1840 benötigte noch jeder einen Geleitbrief, der heiraten oder ein Gewerbe ausüben wollte.
Solch einen Schutzbrief brauchte auch der Handelsmann Aron Jakob, als er 1810 das Haus in Großenmarpe erwarb. Über 100 Jahre lang hatte das Haus mit der damaligen Hausnummer 29 der Familie Betke aus Großenmarpe gehört. 1810 baute ein Betke ein neues Haus am Ortsrand und nahm die Hausnummer für den Neubau mit. Das alte Gebäude, das nun die Nummer 51 erhielt, verkaufte er für 150 Taler dem Juden Aron Jacob. Die Giebelinschrift von 1811 zeugt von dem Stolz des jüdischen Besitzers über den Erwerb des Hauses.
Den Eintragungen im „Geburts- und Sterberegister der Juden" entnehmen wir, daß die Vorfahren des Aron Jakob und seiner beiden Ehefrauen aus dem Kreis Marburg stammen.
Aron Jakob war zweimal verheiratet und hatte insgesamt neun Kinder. Nach dem Tode seiner ersten Frau Mirjam (Marianne) Freudenstein heiratete er deren Schwester Brendel. Aus der ersten Ehe stammten die Kinder Charlotte, Bendix, Julie, Brendel und Jakob, aus der zweiten Ehe Levi, Beer, Hannchen und Keilchen. Der Vater von Aron Jakob hieß Jakob Levi. Da die Juden bis zum 19. Jahrhundert keine Familiennamen hatten, wurden die Juden mit ihrem Vornamen und dem Vornamen des Vaters benannt, die in deutschen Urkunden einfach nebeneinander gestellt wurden (wie hier Aron Jakob), Später nahm Aron den unveränderlichen und erblichen Familiennamen Jakobsohn an, denn seine Kinder, die ab 1855 im Sterberegister eingetragen sind, heißen alle Jakobsohn.
Das Haus blieb viele Jahre hindurch im Besitz dieser jüdischen Familie. Nach Arons Tod im Jahre 1858 erbte dessen ältester Sohn Bendix das Grundstück. Nach dessen Tod (er starb kinderlos) ging das Haus an seinen Bruder Levi und an seine Schwester Julie über. Nachdem die beiden Geschwister gestorben waren, übernahm 1891 die Witwe Levi Jakobsohns das Grundstück. Erst im Jahre 1898 gelangte der Besitz durch Verkauf in nichtjüdische Hände. Ein Kaufmann aus Blomberg erwarb den Grundbesitz für
6300 Mark. Im Kaufvertrag steht: „Mit dem Kaufobjekte geht alles dasjenige über, was mit demselben erd-, wand-, band-, niet-, nagel- und mauerfest verbunden ist, soweit es nicht Dritten gehört, mit Ausnahme von zwei Öfen und der Bodeneinrichtung."
Es ist nicht einfach, immer genaue Daten anzugeben, da sich einige Angaben in den Akten widersprechen und Eintragungen im Kataster nicht regelmäßig überprüft und berichtigt worden sind. Offenbar waren zu der Zeit auch nicht alle Menschen fähig (namentlich ältere), genaue Daten anzugeben, z. B. ihr Alter, oder ihren Namen zu schreiben.
Hier ist eine Eintragung im Grundbuch von Großenmarpe vom 18. Januar 1882 interessant, die ich vollständig wiedergeben möchte:
„Der Handelsmann Levy Jacobsohn von Großenmarpe, 57 Jahre alt, erschien in Begleitung seiner Schwester Julie Jacobsohn, angeblich 73 Jahre alt, und trugen dieselben vor: Unsere Eltern sind schon lange tod, namentlich ist der Vater Aaron Jacob, Eigenthümer der Stätte Nr. 51 in Großenmarpe, über 26 Jahre verstorben und ging die Stätte derzeit auf unseren einzig noch lebenden Bruder Bendix Jacobsohn über, ohne daß indeß auch damals die Berichtigung des Cata-sters erfolgt ist. Nachdem nun Bendix vor etwa zwei Jahren kinderlos gestorben, sind wir dessen einzige Erben und zugleich Eigenthümer des Colonats Nr. 51 in Großenmarpe geworden.
Ich, die Julie Jacobsohn bin nun von meinem Bruder Levy bezüglich meiner Ansprüche an die Stätte Nr. 51 vollständig abgefunden und genehmige die Umschreibung auf jenes Namen."
Julie Jacobsohn setzte unter dieses Dokument drei Kreuze. In der Zeit, als der Besitz an einen Blomberger Kaufmann überging, fiel vermutlich auch der Vorbau eines etwa 4 m tiefen Ladenraumes. Dabei verschwand der Inschriftbalken unter
Lehmputz und blieb über 60 Jahre lang verdeckt.
Um die Wende des 19./20. Jahrhunderts verlieren sich also die Spuren dieser jüdischen Familie, deren Existenz wir fast ein Jahrhundert lang verfolgen konnten. Nur der Torbalken mit der hebräischen Inschrift ist erhalten geblieben. Als bleibendes Zeugnis für den Stolz eines jüdischen Kaufmanns, der trotz großer Schwierigkeiten ein eigenes Haus erwerben konnte, wird der Inschriftbalken aufbewahrt werden. Die Gemeinde Großenmarpe hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses wertvolle heimatgeschichtliche Erinnerungsstück in der Volksschule aufzustellen und damit der Gemeinde und det Nachwelt zu erhalten.
*) Betrachten wir diese Schriftzeichen, so erkennen wir die sogenannte „Quadratschrift" der Juden, die wegen ihrer quadratischen Buchstabenformen so genannt und auch heute noch geschrieben wird. Die hebräische Schrift verläuft von rechts nach links. Ursprünglich wurden nur die Mitlaute geschrieben. Später setzte sich das System durch, die Selbstlaute durch Punkte, Häkchen oder Striche über und unter den Mitlauten zu kennzeichnen.
von Großenmarpe, 57 Jahre alt, erschien in Begleitung seiner Schwester Julie Jacobsohn, angeblich 73 Jahre alt, und trugen dieselben vor: Unsere Eltern sind schon lange tod, namentlich ist der Vater Aaron Jacob, Eigenthümer der Stätte Nr. 51 in Großenmarpe, über 26 Jahre verstorben und ging die Stätte derzeit auf unseren einzig noch lebenden Bruder Bendix Jacobsohn über, ohne daß indeß auch damals die Berichtigung des Cata-sters erfolgt ist. Nachdem nun Bendix vor etwa zwei Jahren kinderlos gestorben, sind wir dessen einzige Erben und zugleich Eigenthümer des Colonats Nr. 51 in Großenmarpe geworden.
Ich, die Julie Jacobsohn bin nun von meinem Bruder Levy bezüglich meiner Ansprüche an die Stätte Nr. 51 vollständig abgefunden und genehmige die Umschreibung auf jenes Namen."
Julie Jacobsohn setzte unter dieses Dokument drei Kreuze. In der Zeit, als der Besitz an einen Blomberger Kaufmann überging, fiel vermutlich auch der Vorbau eines etwa 4 m tiefen Ladenraumes. Dabei verschwand der Inschriftbalken unter Lehmputz und blieb über 60 Jahre lang verdeckt.
Um die Wende des 19./20. Jahrhunderts verlieren sich also die Spuren dieser jüdischen Familie, deren Existenz wir fast ein Jahrhundert lang verfolgen konnten. Nur der Torbalken mit der hebräischen Inschrift ist erhalten geblieben. Als bleibendes Zeugnis für den Stolz eines jüdischen Kaufmanns, der trotz großer Schwierigkeiten ein eigenes Haus erwerben konnte, wird der Inschriftbalken aufbewahrt werden. Die Gemeinde Großenmarpe hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses wertvolle heimatgeschichtliche Erinnerungsstück in der Volksschule aufzustellen und damit der Gemeinde und der Nachwelt zu erhalten.
*) Betrachten wir diese Schriftzeichen, so erkennen wir die sogenannte „Quadratschrift" der Juden, die wegen ihrer quadratischen Buchstabenformen so genannt und auch heute noch geschrieben wird. Die hebräische Schrift verläuft von rechts nach links. Ursprünglich wurden nur die Mitlaute geschrieben. Später setzte sich das System durch, die Selbstlaute durch Punkte, Häkchen oder Striche über und unter den Mitlauten zu kennzeichnen.
Aus Heimatland Lippe 57. Jg., Detmold 1964, S. 27-30;
2011: Der Torbogen ist jetzt im Stadtarchiv Blomberg. Es werden Sponsoren zur Restaurierung gesucht.
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