LAGE. Wie fast alljährlich, so haben auch in der letztjährigen Bauperiode Bagger und Spitzhacke wieder Lücken in den Altbaubestand des Stadtkerns gerissen. Zwei Fachwerkhäuser mußten für diesmal fallen. Mit diesen Tatsachen hat man sich abzufinden; sie sind nun mal baufällig und abbruchreif, unsere alten Fachwerkhäuser, wenigstens nach allgemeiner Ansicht.
Die Abbrüche sind zwar nur als Einzelmaßnahmen zu bewerten, sie müssen aber dennoch in den Rahmen der Stadtsanierung gesehen werden, und dann ist manches dazu zu sagen, was im Zusammenhang mit der Wiederverwendung der gewonnenen Freiflächen oder der Wiederbebauung für Zeit und Zukunft beachtet werden sollte.
Wenden wir uns nun den Abbrüchen zu:
Zunächst Friedrichstraße 20, Giebelstellung zur Straße, Dreiständerhaus mit Kübung, Baujahr 1749. Das Haus stand in der Bauflucht der Friedrichstraße, vor dem sogen. „Lemgoer Tor". Es war zwar kein Baudenkmal, immerhin aber im Aufbau beachtlich, besonders sein Hausspruch über dem Torbogen der Seitendiele: Simon Georg Bröffel und seine Ehefraue Friederica, Amalia, Florentin, Sophia Kayser haben dieses Haus bauen lassen.
Das waren Zeiten. Bis in die kleinsten Dorfsiedlungen prägten sich Wesen und Anschauungen der Zeit sichtbar aus. (Barock-Rokoko 1650-1770). Aber auch sonst spiegelt sich in der Inschrift die damalige Zeit wider, wenn es heißt: „Alle dijenigen, die mich kennen, denen gebe Gott, was sie mich gönnen." Es war die Zeit, in der der Flecken Lage um seine Gleichheit mit den übrigen Städten des Landes rang (Prozeß 1763-1791). Die Bröffels stellten vielfach Bürgermeister der Stadt, wie auch die nachmaligen und letzten Eigentümer des Hauses, die Reuters, Bürgermeister und Zieglerboten stellten.
Wenn man noch bedenkt, daß das Haus auch kulturgeschichtlich etwas zu bieten hatte, nämlich seinen Anbau, der die letzte Grützemühle in Lage beherbergte, so sei auch dies noch erwähnt.
Und nun das Neue. Inzwischen ist bereits ein Neubau bis zum Dach vorgeschritten. Da die Baufluchten klar lagen und auch die anschließende Bebauung zeitgemäß in Erscheinung trat, ergaben sich kaum Probleme, so ist zu hoffen und sicher, daß ein in jeder Weise befriedigender Aufbau an Stelle des alten Fachwerkhauses demnächst im schönsten Schmuck erscheint.
Viel anders und problemhafter zeigt sich der zweite Abbruch, nämlich des Fachwerkhauses Hunecke, Rhienstraße 29, das inzwischen einem Freiplatz mit Garagenbauten gewichen ist. Ständen hier nicht noch ein paar erhaltungswerte alte Bäume, so wäre ein Bild unschönster Art entstanden, die rückwärtigen Hinterbauten usw. der Schulstraße sind alles andere als schön.
Das abgebrochene Haus war ein Fachwerkhaus mit Traufenstellung zur Straße, erbaut 1698, Vierständerhaus mit einem Erkervorbau (Anklapp). Das Haus gehörte in die Reihung der Häuser hinter dem Wall und Graben der Stadt. Mit dem aus den Quellen „In den Ellern" gespeisten Rhienbach-Sumpfgelände um die Schulstraße, den Knicken und Büschen und den Schlingen an den stadttorähnlichen Ausgängen. Sie waren vor und während des Dreißigjährigen Krieges angelegt und bestimmten so die Siedlungsentwicklung noch um 1698. Sie gaben dem Straßenzug sowohl in seiner Richtung, wie in seinem Aufbau der Straßenwände das Gesicht.
So entstanden innerhalb des Ringstraßenzuges nicht nur die gebrochenen Platzwände, sondern auch kleine Freiplätze. Noch heute zeigt der Straßenzug diese interessanten Blickpunkte.
Der Rhienstraßenzug ist der einprägsamste Ausdruck des Stadtaufbaues, er dokumentiert insgesamt Lages Entstehung und Vergangenheit.
Nun, der Freiplatz liegt nun da, man kann so schön auf die Hinterhäuser und auf die Ställe pp. gucken. Ja, das Abreißen ging sehr schnell, ein Werktag genügte.
Jetzt muß geplant werden, oder wenn es noch nicht dazu kommt, wenigstens überdacht werden, wie es einmal sein soll.
Es sei der Sinn dieser kleinen Abhandlung, an des Gewesene zu erinnern und daran zu gemahnen, gerade hier den altgewordenen und gewachsenen Straßencharakter auch in Zukunft zu wahren und zu erhalten. Man arbeite nach Gefühlswerten und nicht nach Paragraphen!
Fachwerkhausabbrüche einmal unter diesem
Gesichtswinkel zu betrachten, ist in fast allen
Fällen immer am Platze. Nicht nur auf das
„Modernisieren" kommt es an, sondern man
gebe diesen Modernisierungen auch Werte, die
sich aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden.