Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.


Zwei Chronogramme in Bad Salzuflen
(Ein Nachtrag zu den „Inschriften lippischer Fachwerkhäuser")
Von Hanns-Peter Fink

Der Aufsatz von Wilhelm Süvern über „Torbögen und Inschriften lippischer Fachwerkhäuser" (Heimatland Lippe 1971 S. 9 ff. und S. 49 ff.) darf in seinem Teil über lateinische Inschriften durch einige Bemerkungen ergänzt werden. Die erste betrifft das Haus Lange Straße Nr. 7 in Bad Salzuflen, an dem zu lesen steht:
SIT LARIBVS NOSTRIS OPTO
CONCORDIA CONSTANS
NOSTER ET ASS
IDVO
LVCEAT IGNE FOCVS
Das ist kein Prosasatz, sondern ein Doppelvers in der metrischen Form des elegischen Distichons, einem Versmaß, das in der Antike außerordentlich beliebt war und auch später in den europäischen Nationalliteraturen oft und gern wieder aufgenommen worden ist, bei uns hauptsächlich von Klopstock und den Klassikern. Die im Januarheft 1971 von „Heimatland Lippe" abgedruckte Übersetzung behält dieses Versmaß bei und läßt es schön erkennen:
Möge, dies ist mein Wunsch, im Haus stets wohnen der Friede,
und das Feuer des Herds, nimmer erlösche es doch!
Dem Betrachter des Hauses in Bad Salzuflen wird auffallen, daß mehrere Buchstaben der Inschrift größer geschrieben sind als die übrigen. Das ist keine Unge-nauigkeit des Schnitzers, sondern in dieser Eigentümlichkeit steckt ein höchst sinn-und kunstvolles Zahlenspiel: Durch ihre Größe hervorgehoben sind alle die Buchstaben, die als römische Ziffern Zahlenwert haben, also I = 1, V = 5, L = 50, C = 100, D = 500. (Möglich, nur in unserem Text nicht vorkommend, sind auch X = 100 und M = 1000. Für U und V gibt es nur einen Buchstaben.) Es gilt nun, die einzelnen durch Buchstaben dargestellten Zahlen zu addieren, das ergibt in unserem Fall 6 x das I = 6, 4 x das V = 20, 2 x das L = 100, 5 x das C = 500, 2 x das D = 1000. Summe: 1626. Diese Jahreszahl ist also in der Inschrift enthalten.
Einen solchen Text, in dem durch die Buchstaben mit Zahlenwert eine Jahreszahl verborgen ist, nennt man ein Chronogramm. Die Kunst seiner Abfassung besteht darin, die Worte so zu wählen, daß jedes I, V, X usw. als Summand zur Addition herangezogen werden muß; anders ausgedrückt: das keines dieser Zeichen unberücksichtigt bleiben darf. Das wird natürlich schwieriger, wenn man keinen Prosaspruch von beliebiger Länge verfaßt, sondern sich an die strengen Regeln eines lateinischen Verses bindet, wie es in unserem Beispiel geschehen ist. Es ist üblich, die Zahlen-Buchstaben durch ihre Größe oder durch ihre Farbe aus den übrigen herauszuheben.
Unsere Inschrift zeigt uns auch, daß die Kenntnis des Wesens eines Chronogramms durchaus nicht allgemein verbreitet ist und war. In Ihrem dritten Wort, NOSTRIS, ist nämlich nicht nur das I, sondern auch das T größer geschrieben. Das ist unsinnig, denn das Zeichen T hat keinen Zahlenwert im System der römischen Ziffern. Nun ist aber an dem Fachwerkhaus deutlich zu erkennen, daß gerade an dieser Stelle des Balkens eine spätere Ausbesserung erfolgt ist, das ganze Wort NOSTRIS ist nachträglich aufgesetzt. Ohne Zweifel hat man zur Zeit dieser Reparatur nicht mehr gewußt, aus welchem wohlüberlegten Grund in alter Zeit manche Buchstaben hochgezogen worden waren, hat darin vielleicht nur ein Zeichen für den Wunsch des alten Schreibers oder Schnitzers nach Abwechslung gesehen und geglaubt, diesen Stil oder Geschmack durch Vergrößerung beliebiger Buchstaben nachahmen zu können. Jedenfalls ist die Großschreibung des T ein Irrtum.
Um ein weiteres Beispiel für ein Chronogramm zu finden, brauchen wir in Bad Salzuflen nur wenige Schritte weiter zu gehen, nämlich zum Hause Nr. 1 in der gleichen Langen Straße. Hier lesen wir:
SVRGE O IEHOVA ATQVE
DISPERGE INIMICOS TVOS
(Auch diese Inschrift ist im Januarheft 1971 dieser Zeitschrift, S. 29, abgedruckt, nur haben sich dort Druckfehler eingeschlichen.)
Die zählenden Buchstaben sind nur wenig, aber doch eindeutig größer geschrieben als die anderen. Die Rechnung ergibt: 5 x das I = 5, 4 x das V = 20, 1 x das C = 100, 1 x das D = 500, 1 x das M = 1000. Summe: 1625, die Jahreszahl, die auch ein anderer Balken des gleichen Hauses trägt.
Auf deutsch heißt der Text: Erhebe dich, Jehova, und zerstreue deine Feinde!
Der Spruch klingt stark an Psalmverse an1), und es ist interessant, hier zu beobachten, wie das Bestreben, die gewünschte Jahreszahl in den Text einzubauen, es nicht erlaubt hat, eine der ähnlichen Bibelstellen wörtlich zu zitieren.
Die Befehlsform surge, „erhebe dich", kommt zweimal im lateinischen Psalter vor 2), viel häufiger taucht die erweiterte Form „exsurge" auf 3) - aber dabei wäre für die beabsichtigte Rechnung das X = 10 zuviel. Fast immer sind in den Psalmen diese Imperative verbunden mit der Anrede „Domine" oder „Domine Deus" - aber das eine Wort enthält schon die Zahl 1501, das andere 505, beide sind also für die gewünschte Addition nicht zu brauchen. Daher hat der unbekannte Verfasser die Namensform Jehova benutzt, die aber als ein mißglückter spätmittelalterlicher Versuch der Rekonstruktion des hebräischen Gottesnamens in der ganzen Bibel nicht vorkommt. „Disperge" heißt es Ps. 58 (59), 12, und die „inimici", die Feinde, werden in vielen Psalmversen genannt. Ein wörtliches Zitat aber war, wie gesagt, nicht möglich mit Rücksicht auf die Jahreszahl 1625, die im Spruch erscheinen sollte.
Chronogramme, dieses liebenswerte Spiel mit Zahlen in Wörtern, sind früher keineswegs selten gewesen. Das 17. und das 18. Jahrhundert haben sie sehr geliebt und häufig angebracht an Häusern, Kirchen, Grabsteinen, auf Glocken, im Druck und überhaupt vielerorts. Später sind sie seltener geworden, aber mitunter findet man sie auch noch mit Jahreszahlen aus unserer Zeit. Der Heimatfreund tut gut daran, seine Augen dafür offen zu halten und nicht ganz achtlos an ihnen vorüberzugehen.

1) W. Süvern hat über 70 Zitate aus dem Psalter an lippischen Fachwerkhäusern gezählt (Heimatland Lippe 1971, S. 53).
2) Ps. 81 (82), 8; 131 (132)), 8.
3) Ps. 3,7; 7,7 (zweimal); 9A, 20; 9B, 12; 16 (17), 13; 34 (35), 2 und 23; 43 (44), 23 (zweimal) und 26; 56 (57), 9 (zweimal); 58 (59), 6; 73 (74), 22; 107 (108), 3.

Aus Heimatland Lippe 64. Jg., Detmold 1971 S. 114 -116;
Abschrift Herbert Penke

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