Bild: Lippe-Rose.gif

 Der Genealogische Abend 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Bild: Lippe-Rose.gif

Verordnung, die zu frühe Beerdigungen betreffend, vom Jahr 1800

Abschrift: Wolfgang Bechtel Detmold

Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Wilhelm Leopold, regierender Fürst zur Lippe, Edler Herr und Graf zu Schwalenberg und Sternberg, Souverain von Vianen und Ameyden, Erbburggraf zu Uetrecht ec.

Viele unbezweifelbare und öffentlich zur Warnung bekannt gemachte Beispiele beweisen, dass Menschen von jedem Alter in sehr vielen Krankheiten, z.B. in Schlagflüssen, Krämpfen, Ohnmachten, Mutterzufällen, Stickflüssen, heftigem Brechen und Durchfall, Blutflüssen, wie auch bei heftigen Leidenschaften, bei Schwangerschaften, und während oder gleich nach der Geburt, selbst auch in hitzigen Fiebern, Nervenfiebern, bösartigen Wechselfiebern, Blattern u.s.w., mehrere Tage alle Merkmale an sich haben, die man insgemein für sichere Zeichen des Todes hält, und doch nicht wirklich und vollkommen todt seyn, sondern noch das Vermögen behalten könnten, wieder aufzuleben. Besonders können Personen, die plötzlich, ohne dass sie vorher sehr Krank gewesen sind, oder die in Krankheiten unvermuthet starben, und ohne dass vorher die gewöhnlichen Zufälle eines herannähernden Todes bemerkt wurden, nicht völlig todt seyn, sondern noch verborgenes Leben in sich haben. Oft sind solche nur scheinbar todte Personen durch einen glücklichen Umstand, oder durch eine zweckmäßige Behandlung, wieder in das Leben zurückgekehrt; es sind aber auch Fälle bekannt, wo Menschen, bei welchen man weder Athem noch Puls bemerken konnte, deren Augen gebrochen, deren Glieder völlig steif waren, die sich überall eiskalt anfühlen ließen, bei welchen kein Blut mehr aus einer geöffneten Ader floß, welchen die untere Kinnlade herabhing, und die hie und da an ihrem Leibe missfarbige Flecken hatten, für wirklich todt gehalten und begraben wurden, von deren schauderhaften Wiedererwachen im Grabe aber, bei einer nachherigen Oeffnung desselben, der abgestoßene Sargdeckel, oder die veränderte Lage der Leiche, oder das Liegen derselben außerhalb ihres Sarges, augenscheinlichen Beweis gab. Wir sind überzeugt, es sey dringendes Verlangen eines jeden, vor diesem schrecklichsten aller Schicksale, noch lebendig begraben zu werden, oder im Grabe wieder zu erwachen, und alsdann aus fürchterlicher Angst und Verzweiflung, aus Hunger und Durst, einen unaussprechbar harten Tod zu sterben, gesichert zu werden.

Diese Ueberzeugung, die Religion und die Menschlichkeit haben uns zu dem Entschlusse bewogen, mit landesväterlicher Fürsorge und landesväterlichem Ernst diese schauderhafte Gefahr, lebendig begraben zu werden, von allen Bewohnern Unsers Landes auf eine hier ausführbare Weise abzuwenden, und zu dem Ende, mit Beirath Unserer getreuen Stände von Ritterschaft und von den Städten, nachfolgende Verordnungen öffentlich bekannt machen zu lassen, und deren genaue Befolgung hierdurch ernstlich anzubefehlen.

1.) Es soll keine Leiche, auch nicht die Leichen der Juden, ehe als nach völligem Ablaufe von zwei und siebenzig Stunden begraben werden; es sey denn, dass ein verpflichteter Arzt oder Wundarzt, oder in von denselben entfernten Ortschaften der Schulmeister mit dem Bauerrichter, und nur im Fall deren Abwesenheit oder Krankheit ein Vorsteher mit zwei anderen glaubhaften Personen, durch ein schriftliches und unentgeldlich zu ertheilendes Zeugniß bescheinigt haben, daß die Leiche, welche begraben werden soll, schon einen starken Todten-Geruch an sich habe. Dieser besondere, sehr widrige, faulichte Geruch muß aber erst einige Zeit nach dem Absterben der Person entstanden, und darf nicht bloß an einem Theile der Leiche bemerklich seyn, sondern er muß sich über alle Gliedmaaßen und über den ganzen Körper erstrecken; insgemein ist er auch mit bläulichen, bräunlichen, besonders mit grünlichen Flecken, mit einer Aufgedunsenheit des ganzen Körpers, besonders des Unterleibes, und mit einer aus dem Munde oder der Nase fließenden, übelriechenden Feuchtigkeit vergesellschaftet. Diese Merkmale sind der Anfang einer allgemeinen Fäulniß der Leiche. Der Eintritt derselben, und wo derselbe wegen besonderer Beschaffenheit der Witterung, z.B. bei trockener starker Kälte, oder des Orts, wo die Leiche liegt, oder der Leiche selbst, nicht so bald als gewöhnlich erfolgen kann, die Länge der Zeit, binnen welcher ein Verstorbener alle und jede andere Zeichen des Todes an sich hat, sind auch nur die einzigen untrüglichen Beweise eines wirklichen Todes. Das über den Eintritt des allgemeinen und starken Todten-Geruchs auszustellende Zeugniß bedarf keiner Weitläuftigkeit; es ist hinreichend, wenn dasselbe kurz, ungefähr mit den Worten: „Es wird hierdurch bescheinigt, dass der (die) verstorbene N. N. einen starken allgemeinen Todten-Geruch von sich gebe“, und mit Beifügung des Datums und eigenhändiger Namens-Unterschrift ausgestellt wird.

2.) Weil bei nachfolgenden Todesfällen der Scheintod häufiger statt findet, so sollen Personen, welche plötzlich oder an Schlagflüssen, Schlafsuchten, Stickflüssen, Starrsuchten, Fallsuchten, Zuckungen, oder an großen Verblutungen, schnellem und sehr heftigem Erbrechen und Laxiren, an Ohnmachten, an heftigen Gemüthsbewegungen, z.B. Zorn, Schrekken, Freude, oder in der sogleich nach schwerer Geburts-Arbeit verstürben, so auch die Ertrunkenen, von Dünsten oder Dämpfen Erstickten, die Erwürgten oder Erhängten, die Erfrorenen, die vom Blitz Gerührten, die durch Sturz oder Fall Leblosen und die erdrückten Kinder, ohne Rücksicht auf die Länge der Zeit, nicht eher begraben werden, als bis an ihren Leichen der allgemeine und deutliche Todes-Geruch eingetreten, und das Daseyn desselben durch ein schriftliches Zeugniß, so wie Wir dasselbe oben unter Nr.1 verordnet haben, gehörig und sicher bescheinigt worden ist.

Da aber bei Personen, die nur todt scheinen, das noch übrige schwache und unmerkbare Leben durch eine unsanfte und unvorsichtige Behandlung derselben vollends getödtet werden kann; so erfordert auch die Pflicht der Menschlichkeit, dass man alle so eben Verstorbenen, von welchem manche noch nicht völlig todt seyn können, und vielleicht noch hören und fühlen, was mit ihnen vorgeht, und jede fortgesetzte Sorgfalt für sie noch segnen, nicht sogleich als völlig todt behandle, sondern ihnen noch die nämliche Theilnahme und Fürsorge erzeige, als vor dem Augenblicke ihres Verscheidens; dem zufolge sollen

3.) die Abgeschiedenen nicht sogleich aus dem Bette und der Wärme genommen und wo anders hingelegt werden, sondern man soll sie noch wenigstens zwölf Stunden lang ruhig und ohne sie auszukleiden in dem Bette, wo sie starben, und in der Wärme, und zwar mit dem Kopfe etwas erhaben, liegen lassen; auch soll man ihnen den Mund und die Nase nicht verbinden, ihr Gesicht nicht bedecken, auch sonst keine Binden an ihrem Körper dulden. Während dieser Zeit soll öfters nach dem Verstorbenen gesehen und auf das sorgfältigste Acht gehabt und untersucht werden, ob sich nicht vielleicht ein Zeichen des Lebens, z.B. ein Puls- oder Herzschlag, ein leichtes Athmen, ein Zucken im Gesicht, oder an den Fingern, oder an den Zehen zeigt, in welchem Falle man alsbald den nächsten Arzt oder Wundarzt herbeirufen muß, und sogleich die Füße und Schenkel der wieder Lebenszeichen von sich gebenden Leiche mit warmen wollenen Tüchern gelinde reiben, starkriechende Sachen, im Nothfalle nur zerschnittene Zwiebeln, vor die Nase halten, das Gesicht und die Brust mit warmem Wein oder mit warmem zur hälfte mit Branntwein vermischtem Wasser waschen, und in die Herzgrube ein mit warmem Branntwein durchnässtes Tuch legen soll. Im Fall, dass zwei Kranke in einem Bette liegen müssten, wovon der eine stürbe und kein zweites Bett vorhanden wäre, worin man den noch Lebenden legen könnte, muß der Verstorbene vorsichtig und in seinen anhabenden Kleidern aus dem Bette genommen, an einen eben so warmen Ort gebracht, und da auf einen Tisch oder auf ein ähnliches Gerüste, über ein Unterlager von Betten, Heu oder Stroh, und auch mit dem Kopfe etwas erhaben gelegt, mit erwärmten Decken oder Kleidungsstücken gehörig bedeckt, und öfters und sorgfältig nach ihm gesehen werden. Wird ein Verstorbener nach Verlauf der zwölf oder mehrerer Stunden aus seinem Bette genommen; so muß er an einen Ort gebracht werden, der reine und frische Luft hat, und der, wenn es immer möglich, im Winter erwärmt wird. Auch noch an diesem Orte und während dieser Zeit dürfen der Leiche keine Binden angelegt und ihr Gesicht nicht bedeckt werden; dabei muß man noch immer öfters nach ihr sehen, und Acht haben, ob sie kein Lebenszeichen äußere. Ueber dieß soll auch keine Leiche eher als zwölf Stunden vor ihrer Beerdigung zum Begräbniß angekleidet und in den Sarg gelegt werden; auch soll der Sarg offen gelassen und nicht eher zugemacht werden, als bis er zum Grabe getragen werden soll. Giebt aber die Leiche noch vor dieser eben verordneten Ankleidungszeit, oder noch eher als sechzig Stunden nach ihrem Absterben verflossen sind, schon einen starken Todten-Geruch von sich, und äußern sich auch andere Merkmale der Fäulniß an ihr; so soll sie, aber nicht eher als bis der Todten-Geruch und die Merkmale der Fäulniß, wie oben verordnet, vom Arzte, Wundarzte, oder vom Bauerrichter und Schulmeister bescheinigt worden, eingesargt, der Sarg fest vernagelt, und die Leiche sobald als immer möglich begraben werden.

Wir haben das Zutrauen zu allen christlichen und jüdischen Einwohnern Unsers Landes, dass sie die gute, gerechte, menschenliebende Absicht dieser Verordnung anerkennen, und sich durch keine hergebrachte Sitte oder Meinung von der genauen Befolgung derselben abhalten lassen werden, wie denn z.B. die Meinung, man müsse, so lange eine Leiche im Hause sey, seine Geschäfte und Handthierung ruhen lassen, bloß irriger Glaube ist, welchen weder die Vernunft noch die Religion gebietet.

Endlich wollen Wir, dass diese Verordnung, zu jedermanns Wissen und Nachachtung, von den Kanzeln abgelesen und an den gewöhnlichen Orten öffentlich angeschlagen werden, befehlen auch allen Obrigkeiten, Predigern, Aerzten, Wundärzten, Küstern, Schulmeistern und Unterbedienten, auf die Befolgung derselben genau zu achten, und die Entgegenhandlung zur Bestrafung zu befördern.

Gegeben Detmold den 8ten Jul. 1800

Zur Übersicht Verordnungen