Verordnung über Stille Beerdigung von
Abschrift aus: Landleben in Lippe 1850 – 1950 Band 3
Abschrift: Wolfgang Bechtel, Juni 2012
Im Unterschied zu den öffentlichen Beerdigungen, die jeweils abhängig vom Stand des Verstorbenen größer oder kleiner sein konnten, waren „stille“ Begräbnisse niemals große Feiern. Sie fanden ohne Leichenpredigt und häufig auch ohne öffentliches Aufsehen frühmorgens oder gegen Abend statt. Zu einer „stillen“ Beerdigung wurde gebeten, wenn Kinder ungetauft gestorben waren, wenn die verstorbenen Personen „unbußfertig“ gewesen oder „lange Jahre Kirche und Abendmahl verschmäht“ hatten, wie Pastor Meyer 1851 aus Haustenbeck berichtet.
Der Pastor erwartete dann den Sarg an der Kirchhofstür und geleitet ihn zum Grab, wo der Tote ohne große Zeremonie unner de Riusen brocht (unter den Rasen gebracht) wurde. Ganz ohne Begleitung durch Pastor, Lehrer und Gemeinde wurden in der Regel Selbstmörder begraben, die auch keinen Anspruch auf Glockengeläut hatten und meist keine reguläre Grabstelle auf dem Friedhof erhielten. Sie wurden ferner nicht durch das Friedhofstor getragen, sondern über die Hecke gehoben und „unter der Mauer“ oder an einer abgelegenen Stelle des Friedhofs beerdigt. Auf diese Weise wurde deutlich, dass sie „aus der Reihe der anderen Gemeindeglieder ausgeschieden“ waren, weil die gewaltsame Art ihres Todes von der Kirche als Verstoß gegen die christliche Ethik gewertet wurde. Selbstmord galt als Verbrechen, und dementsprechend wurden sie als Mörder behandelt. 1860 setzte sich ein Autor der Lippischen „Sonntagspost“ dafür ein, Selbstmörder nicht wie gewöhnliche Mörder zu behandeln, doch auch noch rund 20 Jahre später wurde das Mitleid mit Selbstmördern als „Erschlaffung des sittlichen Urteils“ bezeichnet. 1886 wurde per Landesverordnung die Praxis der „stillen“ Beerdigung noch einmal bekräftigt, doch mit der Ergänzung, dass der Pastor auf Bitte der Familie eine Andacht im Trauerhause abhalten konnte.
Eine Ausnahme bildeten Selbstmorde, die „bei getrübten Bewußtsein, im Fieber oder Wahnsinn“ verübt worden waren und deshalb als nicht selbstverschuldetes Unrecht galten. Um der Familie die Schande und die soziale Ausgrenzung durch die Gemeinde zu ersparen, wurde daher oftmals versucht, den Arzt, Pastor oder Bürgermeister, der den Tod festzustellen hatte, von der Unzurechnungsfähigkeit des Verstorbenen zu überzeugen, um auf diese Weise zumindest eine „stille“ Beerdigung zu erreichen.
Abschrift aus: Landleben in Lippe 1850 – 1950 Band 3
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