Haustenbeck
Lippisches Magazin; 6. Jg, 1841; Nr. 25, Mi., d. 16. September 1840
Sp. 394 - 400
Berathung der Dorfschaft Haustenbeck
Die Dorfschaft Haustenbeck bestaht aus 106 Stätten, den Pfarr- und Schulgebäuden, und dem Poppe`schen Erbkruge nebst Mühle. Die Colonate liegen zerstreut in der Senne umher, in einem Umkreise von etwa 3 Stunden. Unter denselben ist nur eine einzige Kleinkötterstätte, die übrigen sind Hoppenplöcker-, Straßenkötter- und Neuwohner-Stätten. Sie sind auf den Sand gebauet, die meisten in der Nähe der Haustenbecke und des Rothebaches. Die Häuser sind gewöhnlich nur ein Stockwerk hoch, um mehr gegen Sturm und Wind gesichert zu seyn. Hier und da rankt an denselben ein Weinstock. Besondere Gärten giebt es wenige; Gemüse werden auf den Feldern gebauet. Einige kleine Wiesen liegen an den Bächen.
Man saet hauptsächlich Sommerrocken und Buchweizen, zieht Rüben und pflanzt Kartoffeln. Kernobst kommt nicht fort, Steinobst besser. Pferde werden seltener gehalten, zur Bestellung des Ackers und zum Ziehen bedient man sich der Ochsen.Bei heißer und sehr nasser Witterung mißrathen die Früchte; häufig sind sie auch durch Hagelschlag zerstört. Die Viehzucht, der Hauptnahrungszweig, beschränkt sich meißt auf das Rindvieh, welches im Sommer und auch im Winter, wenn kein Schnee liegt, dürftige Nahrung in der Senne sucht. Diese lieferte bislang reichlich Plaggen, zum Düngen der Felder. Große Rasenhaufen, mit Dünger vermischt, wurden wo möglich alle drei Jahre auf die Sandbänke gefahren. Die Haustenbecker waren die Hauptnutznießer der Senne. Ihre Hude erstreckte sich nach dem Saalbuche rund um Haustenbeck herum, an einigen Orten beinahe eine Stunde weit.
Die Gemeinde, als solche, ist arm, sie besitzt keine Gemeindegüter zur ausschließlichen Benutzung. Die Dorfschaftskosten müssen durch besondere Auflagen herbeigeschafft werden. Auch die freundliche Kirche ist eine sehr arme Kirche; sie besitzt an Grundvermögen eine mit Kiefern bepflanzte Sandwehe. Bau- und Reparaturkosten der Kirche, Schule und des Pfarrhauses werden ebenfalls auf die verhältnismäßig kleine Gemeinde Anzahl Einwohner vertheilt. Die Armencasse hat jährlich nur wenige Thaler einzunehmen. Haustenbeck mag jetzt von etwa 1000 Menschen bewohnt seyn. Dasselbe ist ein gesunder Ort, denn es werden jährlich bei Weitem mehr Menschen geboren als sterben. Das Verhältnis stellt sich vielleicht in keinem Kirchspiele des Landes so günstig wie hier. Einige Haustenbecker suchen sich im Auslande als Torfstecher, Wiesenmäher, Ziegler und auf andere Weise (z. B. ist Einer seit Jahren Koch auf einem Englischen Schiffe) ihr Brod. Der größere Theil beschäftigt sich mit Ackerbau und Viehzucht. Ein geringer Ertrag wird durch sauere Arbeit dem Sandboden abgerungen. Große Flächen müssen mit einem verhältnismäßig großen Aufwande von Kräften beackert werden. Um für Menschen und Vieh die nöthigsten Bedürfnisse zu gewinnen. Die Lebensweise dieser Sennebewohner ist einfach. Die niedrigen Wohnungen sind Hütten, durch die schlechten Giebel dringen Wind, Regen und Kälte. Es fehlt meist an den gewöhnlichsten Bequemlichkeiten, man sieht nur wenige Geräthschaften und mangelhafte Möbeln. Statt der Keller benutzt man Sandgruben. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Milch, sehr schwarzem Brode, Buchweizen und vorzüglich aus Kartoffeln.
Nur von Kartoffeln lebten ganze Familien Wochen lang. Fleischspeisen sind selten; ein Picker, der von Buchweizenmehl auf dem mit Fett bestrichenen Ofen in der Stube gebacken wird und ein ähnliches Gericht, welches Puffer heißt, sind sehr beliebt. Die dürftige Kleidung von Leinewand und die schweren Holzschuhe erinnern gleichfalls an die Armuth, welche bei den Meisten herrscht. Man trifft nicht ein Haus, worin nur unmündige, fast nackte Kinder herumkriechen, während die Erwachsenen ihren Geschäften auf dem Felde nachgehen.
Diejenigen Senner, die den dürren Sandboden bauen, kommen mit anderen Menschen wenige in Berührung, als solche, die im fernen Auslande ihren Unterhalt suchen müssen. Sie stehen in Kenntnissen gegen die Letzteren zurück; die gar schwere, anhaltende körperliche Arbeit schadet der Ausbildung des Geistes. Seit einer langen Reihe von Jahren sind in Haustenbeck verhältnismäßig wenige Verbrechen und Excesse begangen.
Die Haustenbecker sind verträglich, Frohsinn herrscht bei ihnen vor, an öffentlichen Lustbarkeiten nehmen sie gern Theil. Kirche und Schule werden fleißig besucht. Man findet unter ihnen viele brave und rechtschaffende Leute und nur selten Aufköcher, Stadtgänger und Proceßkrämer.
Da die Senne durch übermäßiges Plaggen-, Grübbe und Heidemähen mehr und mehr in Sandwehen verwandelt und der Hude beraubt wurde, so machte sich eine Generaltheilung derselben erforderlich, welche jetzt beendigt seyn soll.
Die Benutzung der Senne ist dadurch für Haustenbeck in bestimmte Schranken zurückgeführt. Man ist darüber einverstanden, dass gar keine plaggen von dem Antheile der Dorfschaft, so bedeutend derselbe auch erscheinen mag, gehauen werden können, wenn zu Futer und zuir Streuung die unentbehrliche Heide übrig bleiben soll. Aller Plaggenhieb ist daher jetzt durch die freie Uebereinkunft aufgehoben. Es muß nun ein andres Mittel aufgefunden werden, welches die Düngung durch Plaggen ersetzt, aber das ist ungemein schwierig. Mergel allein kann nicht aushelfen, er soll, nach Versicherung erfahrener Landwirthe, nur auf einigen Feldern Nutzen stiften. Die Haustenbecker versicheren, dass künftig zuverlässig ein Theil der jetzt kultivierten Acker dreisch liegen bleiben werde. Auch die Ausübung der Hude sey einzelnen, von dem Sennetheile der Dorfschaft fern gelegenen Stätten seht erschwert. Viele Haustenbecker sind bekümmert um ihre Zukunft, andere denken an eine Auswanderung nach Amerika, und alle begreifen es, dass ihre bisherige Lebensweise und Wirthschaft nun nicht mehr lange so fortbestehen kann, sonder dass wesentliche Veränderungen und Verbesserungen dringend nöthig geworden sind. Es dürfte daher, und weil die Bevölkerung von Jahr zu Jahr außerordentlich zunimmt, an der Zeit seyn, die eigenthümlichen Verhältnisse dieser Dorfschaft zu berathen.
Um eine solche Cultur des Sandbodens zu fördern, wovon die Unterhaltung eines einträglichen Viehstandes abhängt, scheint eine Specialtheilung der Haustenbecker Senne unerlässlich zu seyn. Davon muß jedoch ein Theil für die Dorfschaft zurückbehalten werden, um eine Gemeindecasse zu gründen, woraus, wenn ein Gehölz angelegt würde, die Kosten zur Erhaltung der Kirche, des Pfarrhauses und der Schule bestritten werden könnten.
Nach solcher Specialtheilung würde der eine und andere Colon ausbauen, durch Tausch die Grundstücke in der Nähe seines Hofes vereinigen und leichter bewirthschaften. Sandwehen würden mit größerem Fleiß gedeckt und cultiviert, als es von der Dorfschaft geschieht, wenn sie in das Eigenthum eines Einzigen mit dessen Sennetheile übergingen und ein solcher die Früchte seiner Anstrengung allein zu erndten hätte.
Würden in die große offene Senne Colonate verlegt, die Kämpe und Felder mit Gräben und Hecken umzäunt, so würde der Boden mehr gegen kalte und ausdörrende Winde gesichert seyn, und es würden dann nicht so leicht verderbliche Sandwehen entstehen.
Um mehr Dünger zu gewinnen und den Ertrag von Viehzucht zu erhöhen, würde es vortheilhaft seyn, wenn auf privativen Theilen nahe zusammen wohnende Colonen kleinere Schafhherden gemeinschaftlich halten wollten.
Sorgfältige Erkundigung muß bei erfahrenen Landwirthen eingezogen werden, welche Kornarten und besondere Futterkräuter in dem Sandboden besser gedeihen, als diejenigen, welche jetzt dort erzielt werden. Der Anbau einer großen Rüber ist von den Oeconomiebeamten bereits mit günstigem Erfolge zu Haustenbeck versucht worden.
Nicht würde aber wichtiger und einflussreicher werden können, als die Einführung artesischer Brunnen. Dadurch könnte die dürre Senne in lachende Flure verwandelt werden. Wasser fehlt dort überall in einiger Entfernung von den sparsam rieselnden Bächen. Dieser Wassermangel erschwert auch das Ausbauen und die Benutzung des Haustenbecker Sennetheils zur Hude. Bei dem Bohren artesischer Brunnen ließe sich zugleich erforschen, ob sich ein Steinkohlenlager in der Senne findet, welches Sachverständige nicht für unwahrscheinlich halten. Die armen Senner könne aber die Kosten solcher Versuche nicht erschwingen.
Eine andere Frage wäre: ob sich Nahringsstand der Haustenbecker durch Gewerbe in Aufnahme bringen lässt? Die Beantwortung hängt davon ab: welcher Industriezweig ist nach Lage, Klima, Boden und Character der Einwohner der zweckmäßigste. Schon vor vielen Jahren hat man das Bedürfniß erkannt, dass in jener Gegend andere Beschäftigungen neben dem Ackerbau und der Viehzucht eingeführt werden müssen. Man dachte an Wollenspinnerei und Weberei, Potaschesiedern und Holzhandel. Fanden diese Vorschläge schon in früheren Jahren große Bedenken, so sind selbige jetzt um so größer, wo Fabriken wollener Zeuge nur bei bedeutenden Capitalien durch Maschinen vortheilhaft betrieben werden können und der Holzmangel immer fühlbarer wird. Schon früher hielt man daher Flachsspinnerei und Weberei für ein vortheilhaftes Nebengewerbe. Zwar geräth der Flachs nicht in der Senne und auch der Hanf schläft oft fehl, aber den Gewinn bringt nicht, so sehr das rohe Material, als die möglichst vollkommene Verarbeitung desselben. Wenn, wie in Gütersloh, der Werth des Flachses durch Feinspinnerei um mehr als 500 Procent erhöhet wird, so können sich diesen Verdienst auch die Haustenbecker verschaffen, wenn sie in der Nachbarschaft Flachs einkaufen, verspinnen und verweben. Dazu müssen sie ermuntert und angeleitet werden. Bislang hat die Flachsspinnerei nicht fortkommen wollen und Leinwandweber verließen den Ort oder verarmten. Auch eine Spinnschule war eingeführt, sie bestand aber nur so lange, als die würdige Vorsteherin derselben, welche keine Opfer und ein Fleiß sparte, in Haustenbeck wohnte. Die Vorsorge in Ertheilung eines zweckmäßigen Unterrichts, der auf keinen Fall Schaden stiftet, scheint durch die jetzigen Verhältnisse mehr als sonst geboten zu seyn. Es fehlt an Gelegenheit zur Erwerbung technischer Kenntnisse im Feinspinnen und Verweben des Flachsgarns. Mühe und Kosten, welche eine Spinnschule verursacht wurden vielleicht jetzt reichlich belohnt werden, wo man mit Sorgen an die Zukunft denkt, und nicht mehr so viele Kinder tagelang als Hirten müssig in der weiten Sennelandschaft umherlaufen. Weshalb sollte nicht auch in Haustenbeck eine Gewerbe gedeihen, welches dem nahe gelegenen Augustdorf und Pivitsheide einen ansehnlichen Gewinn bringt?
Sachverständige wollen sich über diese Andeutungen zur Verbesserung des Nahrungsstandes der Sennebewohner in diesem, dem Gemeinwohl gewidmeten Blatte gütigst aussprechen, dieselben noch mehr begründen oder widerlegen und neue zweckmäßige Vorschläge eröffnen
Detmold, den 2ten September 1840
W. Piderit
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